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Einleitender Hinweis: Meine Artikel zur
Zielsetzung (s.u.) und zur Therapieplanung beschreiben wesentliche Aspekte der
symptombezogen-regulierenden Methode. Bei dieser Methode werden von der aktuellen
Symptomatik eines Patienten, so wie sie sich im aktuellen
ergotherapeutischen Befund zeigt, Therapieziele abgeleitet und im nächsten
Schritt werden einem individuellen Patienten dann entsprechende möglichst
ganzheitliche und ressourcenorientierte Therapieangebote gemacht, bei denen
dieser aktiv handelnd regulierend wirkende Erfahrungen sammeln kann. In
Abhängigkeit von der aktuellen Symptomatik eines Patienten können dabei ganz
unterschiedliche Therapieangebote und Vorgehensweisen geeignet sein, wie sie sich durchaus auch in den kompetenzzentrierten, ausdruckszentrierten,
interaktionellen, wahrnehmungsbezogenen, handlungsorientierten oder auch in
angrenzenden psychotherapeutischen Methoden wiederfinden lassen können. -
Beispiel: Ein antriebsschwacher, ängstlicher, emotional wenig schwingungsfähiger,
entscheidungsschwacher Pat. kann beim Tonschlagen psychomotorisch lockerer
werden, sich danach beim
zentrierenden Formen einer Daumenschale aus dem kühlen weichen Material
entspannen und beim anschließenden Verzieren einfache kreative Entscheidungen
realisieren.
Im Rahmen der Ausbildung zum Ergotherapeuten ist es an den meisten Schulen üblich, ausführliche Therapieberichte zu schreiben. Schwierigkeiten kann dabei erfahrungsgemäß die Aufstellung der therapeutischen Zielsetzung bereiten. Der Artikel beschreibt, wie eine ausführliche Zielsetzung nach Meinung des Verfassers optimal erstellt werden kann. Viele dieser Informationen sind nicht nur für Praktikumsanleiter, Praktikanten und Lehrergotherapeuten von Interesse, sondern für alle, die psychiatrische Ergotherapie gezielt anwenden.
Der Autor - selbst Ergotherapeut - unterrichtet an einer Ergotherapieschule unter anderem das Fach ET-Psychiatrie und betreut die Psychiatriepraktikanten der Schule.
0. Der didaktische Wert ausführlicher Therapieberichte
Obwohl man sich im späteren Berufsleben mit eher
pragmatisch-kurzen, zumeist stichwortartigen, Befund-, Ziel-,
Verlaufs- und Evaluationsdokumentationen begnügen wird, ist der
didaktisch-methodische Wert der großen, ausformulierten
Praktikums- und Examensberichte unbestritten, denn sie
ermöglichen insbesondere:
- Intensive Durchdringung von theoretisch-schulischem Wissen und
praktischer Erfahrung.
- Eigenständige Klärung der Kenntnisse des Schülers durch die
schriftliche Ausarbeitung.
- Gezielte Rückmeldungen des betreuenden Lehrers an den Schüler
im Rahmen der Berichtbesprechung.
I. Grundsätzliches zur Zielsetzung
Die ergotherapeutische Zielsetzung stellt das Bindeglied zwischen dem Befund einerseits und der Planung der therapeutischen Maßnahmen und geeigneter Vorgehensweisen andererseits dar. Die Zielsetzung wird vom Befund (causal) abgeleitet, aber sie muß zugleich auch (final) in Hinblick auf das, was bei bestimmten Krankheitsbildern ergotherapeutisch überhaupt sinnvoll angegangen werden kann, erstellt werden.
Die ergotherapeutische Zielsetzung muß inhaltlich richtig sein, d.h. vor allem, daß sie aus dem individuellen Befund des Patienten abgeleitet und konkret sein muß. Zudem sollte sie vollständig sein, d.h. keine Ziele übergehen, die bezüglich eines konkreten Patienten bedeutsam sind. Die Zielsetzung sollte potentiell erreichbar sein, in dem Sinne, daß die ergotherapeutischen (Grob- und Fein-)Ziele auf das mit ergotherapeutischen Mitteln überhaupt günstig Beeinflußbare beschränkt bleiben und so im Rahmen einer Nachbetrachtung der Therapie(einheit) auch evaluierbar sind. Zudem sollte die Zielsetzung angemessen formuliert sein.
II. Konkrete Informationen und Empfehlungen zur Zielsetzung
Die Bewältigung der oben genannten komplexen grundsätzlichen Anforderungen an eine Zielsetzung setzt bereits beträchtliche Kenntnisse der Möglichkeiten ergotherapeutischer Einflußnahme bei den unterschiedlichen psychiatrischen Krankheitsbildern in unterschiedlichen Krankheits- und Therapiestadien voraus, und das wiederum bei Patienten sehr unterschiedlicher Persönlichkeit und sozialer Situation.
Erfahrungsgemäß bereitet vielen Schülern denn auch die Erstellung der Zielsetzung die meisten Schwierigkeiten bezogen auf den gesamten Praktikumsbericht. Im Folgenden daher einige konkrete Informationen, Hinweise und Ratschläge.
Die (im Praktikums- oder Examensbericht) schriftlich formulierte ergotherapeutische Zielsetzung sollte aus einem (selten mehreren) Rehaziel und einer Vielzahl von konkreten Feinzielen bestehen. Hinzu kommen noch einige wenige Grobziele. (1)
Das Rehaziel ist das übergeordnete Ziel für einen Patienten. Es wird in Kliniken vom gesamten interdisziplinären therapeutischen Team zusammen mit dem zuständigen Arzt festgelegt und ist entsprechend nicht nur für die Ergotherapie, sondern für das gesamte therapeutische Team maßgeblich. Das Rehaziel gibt an, in welchen Lebens- und/oder Arbeitsbereich der Patient am Ende der Behandlung voraussichtlich entlassen werden soll. Hier einige Beispiele:
- Betreutes Wohnen in einer therapeutischen Wohngemeinschaft
- Ausbildung in einem Berufsbildungswerk
- Familiäre Reintegration
- Bewältigung der Trennung und Leben in eigener Wohnung
- Berufliche Integration in eine WfB mit Wohnen bei den Eltern
- Entlassung in eigene Wohnung und auf den freien Arbeitsmarkt
- Altenheimunterbringung
- Selbständige Lebensführung in eigener Wohnung
- Beginn einer Lehre
- ...
Da beim betreuenden Stationsarzt alle Informationen zusammenlaufen, kann dieser zumeist am kompetentesten darüber Auskunft geben, ob für einen Patienten bereits ein Rehaziel feststeht und was im Einzelnen geplant wird.
Die ergotherapeutischen Fein- und Grobziele hingegen werden vom Ergotherapeuten (bzw. Praktikanten oder Examenskandidaten) selbst aufgestellt.
Dabei werden die Feinziele für einen Patienten von den Einzelbeobachtungen im ergotherapeutischen Befund abgeleitet, wobei weitere Informationen, insbesondere Beobachtungen anderer Mitglieder des therapeutischen Teams oder auch anamnestische Daten mit hinein spielen können.
Die folgende Tabelle gibt anhand von Einzelbefunden einige Beispiele für die konkrete Ableitung möglicher Feinziele:
Befunde: | mögliche Feinziele: |
Obwohl Fr. G. mit den gestellten Aufgaben (z.B. Mandalavorlage ausmalen) gut zurecht kommt, ist sie unsicher und ängstlich, äußert kaum eigene Wünsche und versucht selbst einfache Entscheidungen an den Therapeuten abzugeben, indem Sie z.B. fragt, in welchen Farbtönen sie ihr Mandala bunt ausmalen soll. | --> Sich besser entspannen können [gg.
Ängstlichkeit] |
Hr. L. meidet den Kontakt mit Mitpatienten und sitzt, wenn er auf Station ist, zumeist allein auf seinem Zimmer (autistischer Rückzug), starrt lange ins Leere vor sich hin und macht dabei gelegentlich seltsame Bewegungen mit den Armen. Darauf angesprochen berichtet er, daß elektrische Ströme durch ihn flössen, weil er so von fremden Mächten gelenkt werde (Ich-Störung mit Wahn). |
--> Sich auf erste (einfache)
therapeutische Gespräche --> 'small talk') einlassen
können |
Hr. X. redet ununterbrochen mit überlauter Stimme und läuft von einem Platz zum anderen. (Antriebssteigerung, psychomotor. Unruhe) |
--> Psychomotorische Unruhe (durch
einfache grobmotorische Aktivitäten) abführen |
Alles was sie zu Gesicht bekommt, will Fr. Q. sofort auch anfangen, stellt aber nichts wirklich fertig. (wahllose Entschiedenheit, Ablenkbarkeit, kognitive Sprunghaftigkeit) | --> Sich auf eine Sache konzentrieren und
sie auch zu Ende bringen können |
Fr. B. kommt oft zu spät zur Therapie, weil sie sich die Therapiezeiten nicht merken kann und sich gelegentlich auch auf dem Weg zur Therapie verläuft. (zeitliche und räumliche Desorientiertheit) | --> Sich Therapiezeiten und Wege besser merken können |
In der Gruppentherapie fällt Hr. P. häufig anderen ins Wort. Wenn Mitpatienten von traurigen Erlebnissen zu erzählen beginnen, versucht er diese zu 'trösten', indem er unangemessen Witze zu erzählen beginnt. Überhaupt gelingt es ihm kaum auf andere einzugehen. | --> Andere ausreden lassen und ihnen
zuhören |
Im Gegensatz zu Frau Scheiber bin ich nicht der Meinung, daß: "[...] Feinziele beschreiben, was der Patient in einer in sich abgeschlossenen Therapieeinheit erreicht haben soll." (2) Vielmehr halte ich angesichts der großen Tagesformschwankungen psychiatrischer Patienten umfassendere Feinziele, die sich über mehrere Therapieeinheiten erstrecken, für besser geeignet, da sich diese (mittels Steigerung oder Vereinfachung der Anforderungen der Aufgabenstellungen) therapeutisch flexibler verwirklichen lassen. Feinziele hingegen, die in einer einzigen Therapieeinheit erreichbar sind, sind zwangsläufig so 'atomisiert' eng formuliert, daß sie bei einer deutlichen Tagesformschwankung eines Patienten gänzlich aufgegeben oder zumindest auf eine spätere Therapieeinheit verschoben werden müssen. Zudem besteht bei so engen Zielen die Gefahr einer 'Dressur' des Patienten und die Gefahr, daß der Therapeut (Praktikant) angesichts kleinster Feinziele den Patienten als Ganzes aus den Augen verliert. Einziger Vorteil solch eng gefaßter, (operationalisierter) Feinziele scheint mir eine etwas leichtere Evaluierung (als: 'Ziel erreicht' / 'Ziel nicht erreicht') zu sein. Es ist aber sehr wohl möglich, umfassendere Feinziele ebenfalls zu evaluieren.
Die folgende (ungeordnete und keineswegs vollständige) Liste möglicher ergotherapeutischer Feinziele kann als Orientierung dienen, was ergotherapeutisch überhaupt beeinflußbar ist und wie dies m.E. sinnvoll patientorientiert formuliert werden kann:
Es ist aus Gründen, die noch genannt werden, sinnvoll, wenn die ergotherapeutischen Feinziele nicht nur auf den Patienten bezogen sind, sondern auch aus Sicht des Patienten formuliert werden, und zwar so, daß sie gegebenenfalls im Rahmen der Transparentmachung der Zielsetzung gegenüber dem Patienten leicht als Vorlage zu einer entsprechenden verbalen Instruktion des Patienten dienen können. Ungünstig hingegen ist die (- nicht selten anzutreffende -) Formulierung aus Sicht des Therapeuten. Die folgende Tabelle soll diesen Unterschied in der Fassung der Feinziele exemplarisch verdeutlichen:
Aus der Siccht des Patienten formuliert: | Aus der Sicht des Therapeuten formuliert: |
Sich auf Strukturen (Therapiezeiten, Arbeitsplatzgestaltung) einlassen können | Struktur vermitteln |
Vertrauensvolle Therapiemotivation entwickeln | Therapiemotivation fördern |
Offen werden für die Begegnung mit anderen | Kontakttraining: Vermittlung von Vertrauen |
Mehr Selbständigkeit im Alltag erlangen | Vermittlung lebenspraktischer Fähigkeiten |
Sich auch in komplexen Gruppensituationen gut zurecht finden können | Interaktionstraining |
Später Zuhause mit teilweiser Unterstützung durch die Angehörigen wieder weitgehend selbständig leben können. | Die Angehörigen mit einbeziehen und zur Unterstützung des Patienten anleiten. |
Bildnerische Ausdrucksmöglichkeiten entdecken | Einsatz bildnerischer Mittel |
Es geht bei den psychiatrisch-ergotherapeutischen Feinzielen also weniger darum, was man als Therapeut bei einem bestimmten Patienten erreichen, und daher mit ihm machen möchte (Maßnahmenkatalog). Es geht vielmehr darum, was der Patient selbst (natürlich durchaus mit Hilfe ergotherapeutischer Maßnahmen) erreichen kann, um künftig im Alltag besser mit sich, seinen Mitmenschen und seinen Lebensaufgaben zurecht zu kommen.
Hier nun die Gründe für eine solche patientorientierte Zielsetzung, die nicht lediglich patientbezogen ist, sondern auch aus der Sicht des Patienten und für diesen verständlich formuliert ist:
Zu einer patientorientierten Zielsetzung gehört auch, daß
die Feinziele (dem therapeutischen Vorgehen entsprechend) 'mit
Fingerspitzengefühl' formuliert sind, statt mit Schlagworten.
Bei einem alten Patienten z.B.:
"FZ: Sich wieder selbständig waschen, anziehen und
kämmen können"
statt: "FZ: Selbständige Körperpflege!"
In der Regel wird man - je nach Patient - für die umfassende Zielsetzung der allgemeinen Therapieplanung mit noch gerade eben überschaubaren 15 bis 25 Feinzielen hinkommen. Sollte man beim diesbezüglichen Durcharbeiten des Befundes weniger Feinziele abgeleitet haben, dann kann es sinnvoll sein einzelne Feinziele in stärker differenzierte Feinziele aufzuspalten. Sollte man hingegen mehr als 25 Feinziele vom Befund abgeleitet haben, ist es zumeist sinnvoll verwandte Feinziele zu einem einzelnen, etwas gröberen, Feinziel zusammenzufassen, damit die Feinziele den Rahmen des Überschaubaren nicht überschreiten.
Zur besseren Übersichtlichkeit werden die Feinziele anschließend einigen wenigen Grobzielen zugeordnet. Letztere beinhalten aber kaum neue Information, sondern dienen vor allem der übersichtlichen Gliederung der Feinziele. Grobziele können beispielsweise in Anlehnung an die Untergliederung des verwendeten Befundschemas z.B. folgendermaßen formuliert werden:
* GZ: Verbesserung affektiver und psychomotorischer Fähigkeiten
* GZ: Verbesserung kognitiver Fähigkeiten
* GZ: Verbesserung der Arbeitsgrundfähigkeiten
* GZ: Verbesserung der Selbsteinschätzung/Krankheitseinsicht
* GZ: Verbesserung von Kontaktverhalten und Interaktionsfähigkeit
* GZ: Verbesserung lebenspraktischer Fähigkeiten
Die für einen Patienten wichtigsten Grobziele sollten dabei zuerst genannt werden. Bei einem depressiven oder manischen Patienten beispielsweise steht zumeist die 'Verbesserung affektiver und psychomotorischer Fähigkeiten' an erster Stelle. Bei einem chronifizierten schizophrenen Patienten wird der Schwerpunkt wahrscheinlich im Kontaktbereich und bei den lebenspraktischen Fähigkeiten liegen. Bei einem akuten schizophrenen Patienten hingegen mehr im kognitiven Bereich und im Kontaktbereich. (Da die einzelnen Bereiche eng miteinander verknüpft sind, und zudem mit fortschreitende Gesundung des Patienten unterschiedliche Bereiche im Vordergrund stehen können, ist eine exakte Hierarchiesierung der Grobziele oft nicht möglich. Ähnliches gilt für die Feinziele.)
Innerhalb eines Grobziels sollten die zugeordneten Feinziele nach zeitlicher (sukzessiver) Erreichbarkeit geordnet aufgeführt werden d.h. die eher grundlegenden Feinziele zuerst, die darauf aufbauenden, fortgeschittenen Feinziele zum Schluß, z.B:
GZ: Verbesserung von Kontaktverhalten und Interaktionsfähigkeit
FZ: - Eine tragfähige Beziehung zum Therapeuten entwickeln
FZ: - Sich ins Gruppengeschehen einbringen können
FZ: - Sich auch in komplexen Gruppeninteraktionen konstruktiv integrieren und behaupten können
Dadurch, daß die Feinziele derart nach zeitlicher Erreichbarkeit geordnet werden, kann man auf eine Einteilung in Nah- und Fernziele verzichten.
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[...]
Die weiteren Abschnitte dieses Fachartikels sind:
III. Beispiele für ungeeignete Ziele
IV. Die umfassende und die spezielle Zielsetzung
V. Ein Beispiel für eine umfassende Zielsetzung nach den oben beschriebenen Grundsätzen und Empfehlungen
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