Willkommenauf der Homepage vonGeorg Keller |
Der Autor hat jahrelange Erfahrung in der ergotherapeutisch-gestalterischen Behandlung von Patienten und ist seit Januar 1997 als Lehrer an einer Ergotherapieschule tätig. Er unterrichtet u.a. die Fächer 'Psychosoziale Verfahren' und 'gestalterische Mittel'. In seinem Artikel gibt er einige wesentliche Informationen zum gezielten ergotherapeutischen Einsatz von Mandalas und (Mal-)Vorlagen.
Unter Mandalas im engeren Sinne versteht man punktsymmetrisch-geometrisch aufgebaute, 'mystische' Meditations-Bilder, wie wir sie vor allem im tibetanischen Buddhismus finden. Die Bezeichnung Mandala stammt aus dem Sanskrit und bedeutet soviel wie Kreis, Rad, Zentrum. Im weitesten Sinne handelt es sich dabei um eine universale Urform (Archetypus), die wir in vielfältigen Variationen im Aufbau der Atome und Kristalle, in der belebten Natur (1) (Abb. 2), und in unterschiedlichsten menschlichen Kulturschöpfungen (2) vorfinden. Mandalas wurden insbesondere durch den Tiefenpsychologen C.G. Jung (1875-1961) in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts in ihrer Bedeutung für die Psyche des Menschen erforscht und gewürdigt. In den letzten Jahren haben sie einen regelrechten 'esotherisch-psychotherapeutischen Boom' erlebt, so daß inzwischen nahezu jede Buchhandlung Bücher (3) über Mandalas samt Vorlagen (4) zum Ausmalen bereithält.
Aniela Jaffé, langjährige Mitarbeiterin und Sekretärin von C.G. Jung schreibt dazu: "Die ersten Mandaladarstellungen stammen aus der Alt-Steinzeit, lange vor der Erfindung des Rades: es sind kreisförmige Felsritzungen, die meist als Sonnenräder gedeutet werden. Ihr Alter wird bis zu 25000 oder 30000 Jahren geschätzt. Im Lamaismus und im tantrischen Yoga bedeutet das Mandala das kreisförmige Abbild des Kosmos in seinem Zusammenhang mit göttlichen Mächten. Es stellt ein Instrument der Kontemplation dar. Im christlichen Mandala mit Christus im Zentrum betonen die vier Evangelisten oder ihre Symbole die Kardinalpunkte des Kreises. Die Fensterrosen der Kathedralen stellen abstrakte oder kosmische Mandalas dar. [...] Das viergeteilte Mandalasymbol tritt spontan in Träumen und Phantasien auf, meist als ein unbewußter Selbstheilungsversuch in Zuständen psychischer Desorientierung. Es stellt ein Ordnungsschema dar, welches sich gewissermaßen über das psychische Chaos legt, so daß das auseinanderfließende Ganze durch den hegenden und schützenden Kreis zusammengehalten und zugleich der Mensch in einen unpersönlichen Zusammenhang gestellt wird." (5) Im Weiteren zitiert Frau Jaffé C.G. Jung selbst: "Dinge, die so weit in die Menschheitsgeschichte zurückreichen [wie das Mandala], rühren natürlich an tiefste Schichten des Unbewußten und vermögen diese zu ergreifen, wo bewußte Sprache sich als gänzlich impotent erweist. Solche Dinge sind nicht zu erdenken, sondern müssen wiederum aus der dunklen Tiefe der Vergangenheit heraufwachsen, um äußerste Ahnung des Bewußtseins und höchste Intuition des Geistes auszudrücken und so die Einmaligkeit des Gegenwartsbewußtseins mit der Urvergangenheit des Lebens zu verschmelzen." (6)
C.G. Jung hatte einen höchst persönlichen Bezug zu Mandalas.
Er berichtet darüber in seiner Autobiographie:
"Das erste Mandala hatte ich 1916 gemalt [...].
Natürlich hatte ich es nicht verstanden. 1918/19 war ich in
Château d'Oex Comandant de la Région Anglaise des Internés de
Guerre. Dort skizzierte ich jeden Morgen in ein Carnet eine
kleine Kreiszeichnung, ein Mandala, welches meiner jeweiligen
inneren Situation zu entsprechen schien. Anhand der Bilder konnte
ich die psychischen Wandlungen von Tag zu Tag beobachten. [...]
Nur allmählich kam ich darauf, was das Mandala eigentlich ist:
'Gestaltung - Umgestaltung des ewigen Sinnes: ewige
Unterhaltung'. Und das ist das Selbst, die Ganzheit der
Persönlichkeit. Meine Mandalabilder waren Kryptogramme über den
Zustand meines Selbst, die mir täglich zugestellt wurden. Ich
sah, wie das Selbst, d.h. meine Ganzheit am Werke war. Das konnte
ich allerdings zuerst nur andeutungsweise verstehen, [...] Ich
hatte das deutliche Gefühl von etwas Zentralem, und mit der Zeit
gewann ich eine deutliche Vorstellung vom Selbst. [...] Ich weiß
nicht mehr wieviele Mandalas ich damals gezeichnet habe. Es waren
viele. Während ich daran arbeitete tauchte immer wieder die
Frage auf: 'Wohin führt der Prozeß, in dem ich stehe? Wo liegt
sein Ziel?' [...] Ich wurde gezwungen, den Prozeß des
Unbewußten selbst durchzumachen. Ich mußte mich zuerst von
diesem Strom mitreißen lassen, ohne zu wissen, wohin er mich
führen würde. Erst als ich die Mandalas zu malen begann, sah
ich, daß alles, alle Wege die ich ging, und alle Schritte, die
ich tat, wieder zu einem Punkt zurückführten, nämlich zur
Mitte. Es wurde mir immer deutlicher: Das Mandala ist das
Zentrum. Es ist der Ausdruck für alle Wege zur Mitte, zur
Individuation. [...] Eine Bestätigung der Gedanken über das
Zentrum und das Selbst erhielt ich Jahre später (1927) durch
einen Traum. Seine Essenz habe ich in einem Mandala dargestellt,
das ich 'Fenster in die Ewigkeit' bezeichnete. [...] Ein Jahr
später malte ich ein zweites Bild, ebenfalls ein Mandala,
welches im Zentrum ein goldenes Schloß darstellt. Als es fertig
war, fragte ich mich: 'Warum ist das so chinesisch?' - Ich war
beeindruckt von der Form und Farbenwahl, die mir chinesisch
erschienen, obwohl äußerlich nichts chinesisches an dem Mandala
war. Aber das Bild wirkte so auf mich. Es war ein seltsames
Zusammentreffen, daß ich kurz darauf einen Brief von Richard
Wilhelm (7) erhielt. Er schickte mir das Manuskript eines
chinesischen taoistisch-alchemistischen Traktates mit dem Titel
'Das Geheimnis der Goldenen Blüte' und bat mich, ihn zu
kommentieren. Ich habe das Manuskript sofort verschlungen; denn
der Text brachte mir eine ungeahnte Bestätigung meiner Gedanken
über das Mandala und die Umkreisung der Mitte. Das war das erste
Ereignis, das meine Einsamkeit durchbrach. Dort fühlte ich
verwandtes, und dort konnte ich anknüpfen." (8)
Viele Menschen beginnen in bestimmten Lebenslagen, ähnlich wie C.G. Jung, Mandalas ganz spontan und frei aus innerer Intuition heraus zu gestalten, teilweise inspiriert durch Träume. Schon im Vorschulalter, finden wir nicht selten, daß das Kinder - noch bevor sie überhaupt je etwas von Mandalas gehört oder gesehen haben - zentrisch angeordnete Ringe in wechselnden Farben malen, was man als erste, einfache Mandalas ansehen kann. Abbildung 3 und 4 zeigen zwei solche ersten Mandalas, die ein Junge in seinem 5. Lebensjahr spontan gestaltet hat.
Erwachsene fühlen sich oftmals in Phasen seelischer Krisen und Neuorientierung besonders zur intensiven Beschäftigung mit Mandalas und ihren ruhig-ordnenden Strukturen hingezogen. Ein ängstlich-gehemmter psychosomatischer Patient mittleren Alters erinnerte in der Maltherapie gestaltend ein traumatisches Kindheitserlebnis (Abb. 5). Er und sein Spielgefährte warfen sich in einem Sandkasten gegenseitig einen Stein zu. Das anfänglich harmlose Spiel wurde immer heftiger, bis er seinen Gefährten schließlich so unglücklich am Kopf traf, daß dieser mit blutender Wunde ins Krankehnaus mußte. Seit diesem Erlebnis der Gewalteskalation ging der Patient konfliktscheu allen Auseinandersetzungen aus dem Weg. Ohne daß der Patient ein Mandala zu gestalten beabsichtigte, hat seine Gestaltung aufgrund des punkt- und spiegelsymmetrischen Aufbaus formale Ähnlichkeiten mit einem Mandala. Rechts und Links bedingen sich gegenseitig. ('Eins ergibt das andere.') Weder er noch sein Gefährte konnten dem 'magischen Kreis' der Gewaltentwicklung im Sandkastens (mit dunkelgrüner Heckeneinfassung) entrinnen.
Das von einem etwas 35-jährigen Mann spontan gestaltete 'Mandala vor einer Landschaft' (Abb. 6) verdeutlicht die wertvolle Kraft heilsamen Naturerlebens in einem Zeitalter zunehmend bedrohter Natur.
[...]
Anmerkungen:
(1) z.B. bei Eiskristallen, Blumen, Seesternen
(2) z.B. in Höhlen- und Felsmalereien, im Megalithkreis von
Stonehenge, in Zentralbauten (Hagia Sofia in Istanbul,
Karlskapelle in Aachen, Baptisterium in Florenz), in den
Visionen/Büchern der Hildegard von Bingen und anderer Mystiker,
in den Rosetten mittelalterlicher Kathedralen, in tibetische
Kosmogrammen, indischen Yantras und schamanischen Heil- und
Meditationsbildern
(3) Eine einfache Einführung gibt: Huyser, Anneke: Das Mandala-Arbeitsbuch; Wilhelm Goldmann Verlag, München 1996
(4) z.B. Dahlke, Rüdiger: Mandala-Malblock; Verlag Heinrich
Hugendubel
(5) Aniela Jaffé (Hrsg.): 'C.G. Jung - Bild und Wort',
Walter-Verlag, Olten 1977;
S.77f
(6) In C.G. Jung: Gesammelte Werk XIII; zitiert nach Aniela
Jaffé (Hrsg.): 'C.G. Jung - Bild und Wort',
Walter-Verlag, Olten 1977; S.77f
(7) R. Wilhelm war bedeutender Sinologe und Zeitgenosse Jung's
[...]
Die weiteren Abschnitte dieses Fachartikels handeln insbesondere von:
- Konkreten Einsatzmöglichkeiten von Mandalas in der Ergotherapie
- Mandalas im Unterschied zu anderen Malvorlagen in der psychiatrischen Ergotherapie
Dieser Artikel wurde erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift 'Praxis Ergotherapie'; 11.Jg., Heft 2/98, S.111ff; Verlag Modernes Lernen, Dortmund.
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