Willkommenauf der Homepage vonGeorg Keller |
Einleitender Hinweis: Meine Artikel zur
Zielsetzung und zur Therapieplanung (s.u.) beschreiben wesentliche Aspekte der
symptombezogen-regulierenden Methode. Bei dieser Methode werden von der aktuellen
Symptomatik eines Patienten, so wie sie sich im aktuellen
ergotherapeutischen Befund zeigt, Therapieziele abgeleitet und im nächsten
Schritt werden einem individuellen Patienten dann entsprechende möglichst
ganzheitliche und ressourcenorientierte Therapieangebote gemacht, bei denen
dieser aktiv handelnd regulierend wirkende Erfahrungen sammeln kann. In
Abhängigkeit von der aktuellen Symptomatik eines Patienten können dabei ganz
unterschiedliche Therapieangebote und Vorgehensweisen geeignet sein, wie sie sich durchaus auch in den kompetenzzentrierten, ausdruckszentrierten,
interaktionellen, wahrnehmungsbezogenen, handlungsorientierten oder auch in
angrenzenden psychotherapeutischen Methoden wiederfinden lassen können. -
Beispiel: Ein antriebsschwacher, ängstlicher, emotional wenig schwingungsfähiger,
entscheidungsschwacher Pat. kann beim Tonschlagen psychomotorisch lockerer
werden, sich danach beim
zentrierenden Formen einer Daumenschale aus dem kühlen weichen Material
entspannen und beim anschließenden Verzieren einfache kreative Entscheidungen
realisieren.
Der Autor, selbst Ergotherapeut, unterrichtet an der Schule für Ergotherapie in Gersfeld (Rhön) unter anderem die Fächer BT-Psychiatrie und Bildnerisches Gestalten.
In seinem praxisnahen Artikel zeigt er anhand vielfältiger Beispiele auf, was bei der Therapieplanung, insbesondere auch bei der Wahl des Therapiemediums, von Seiten des Ergotherapeuten zu beachten ist, damit der psychiatrische Patient eine optimale therapeutische Chance bekommt, die Therapie zu akzeptieren, Vertrauen aufzubauen und zunehmend Kompetenz und Eigenverantwortung zu entwickeln.
Erste grobe Orientierung über die ergotherapeutische Therapieplanung
Eine der grundlegenden Informationen über einen Patienten ist seine Diagnose. Der Psychopathologe Christian Scharfetter wies bereits darauf hin, daß es sich bei der Schizophrenie nicht um eine einzelne Erkrankung, sondern vielmehr um einen Syndromenkomplex handelt, daß Schizophrenie also eine Sammeldiagnose unterschiedlichster Erkrankungen aus dem großen schizophrenen Formenkreis ist. (1)
Nicht ganz so, aber doch ähnlich vielgestaltig sind auch andere psychiatrische Krankheitsbilder, wie z.B. Depressionen. (2) Das alles zeigt, daß die Diagnose eines Patienten nicht mehr, als einen ungefähren ersten Hinweis liefern kann, wenn es darum geht, welche Behandlungsmaßnahmen und welches therapeutische Vorgehen für einen ganz bestimmten Patienten geeignet sein könnten.
Von größerer Bedeutung als die Diagnose ist hingegen das aktuelle Krankheitsstadium eines Patienten, so wie es sich uns bei der ergotherapeutischen Befundaufnahme darstellt. Selbst bei einem einzelnen Patienten bestimmter Diagnose werden die therapeutischen Angebote unterschiedlich ausfallen müssen, je nachdem, ob er hochakut, akut, stabilisiert oder schon wieder belastbar ist. Einen ersten Überblick vermittelt uns das grobe Orientierungsschema.
Beim hochakuten und akuten Psychiatriepatienten stehen vertrauenaufbauende Maßnahmen im Vordergrund der Therapie. Durch solche Maßnahmen wird der Patient motiviert, sich zunehmend auf die Therapie einzulassen. Entsprechend der Schwere der Erkrankung und der damit verbundenen Ängste und Rückzugstendenzen wird das therapeutische Vorgehen in dieser Anfangsphase weitgehend stützend, ablenkend und einfach strukturiert sein müssen.
Angesichts des schwer beeinträchtigten Patienten springt der Ergotherapeut helfend ein (3) und arrangiert die Therapieangebote so, daß der Patient über leichte, überschaubare Kleintechniken mit raschem Erfolgserlebnis bald Fuß fassen und (Selbst-)Vertrauen aufbauen kann.
So sehr Kleintechniken mit garantiertem Erfolgserlebnis in der Anfangsphase ein schwaches Selbstvertrauen stützen, so sehr blasen sie es unrealistisch auf, wenn man therapeutisch bei solchen initialen Angeboten stehen bleibt.
Mit zunehmender Stabilisierung und schließlich gar wiedererlangter Belastbarkeit des Patienten muß der Schonraum der Ergotherapie vom Therapeuten daher zunehmend in ein realistischeres Lernfeld umgestaltet werden, damit der Patient Eigenkompetenz und Eigenverantwortung entwickeln kann.
Die anfängliche, einfach strukturierte, dabei noch etwas Rückzug gewährende Einzelarbeit in der Gruppe wandelt sich jetzt zunehmend in eine Teilnahme des Patienten an komplexeren, interaktiveren, gestalterischen und problemorientierten Aufgabenstellungen. Auch durch zunehmende Transparenz der Zielsetzung möglichst unter aktiver Mitarbeit des Patienten bei der Auswahl geeigneter therapeutischer Maßnahmen, kann er sich, in dem Maße wie er stabiler wird, allmählich seiner Eigenverantwortung für das Gelingen der Therapie als seiner ureigenen Selbstverwirklichung bewußt werden.
Ohne solche Steigerung der Anforderungen wird Ergotherapie zum Wolkenkuckucksheim, denn der Patient bekommt dann keine optimale Chance, sich bereits in der Klinik realistisch auf eine Entlassung in Selbständigkeit und Eigenverantwortung vorzubereiten, um sich später im Alltag bewähren zu können.
Ergebnis einer als Heile Welt bedingungsloser Akzeptanz (4) falsch verstandenen Ergotherapie sind zum einen der Drehtürpatient, der - kaum daß er entlassen ist - wieder auf der Matte steht, weil er es im üblichen Alltag nicht aushält, und zum anderen Ergotherapeuten, die sich ständig gebraucht und dabei oft schon nach wenigen Jahren mangels echter Erfolgserlebnisse verbraucht und ausgebrannt fühlen (Helfersyndrom).
Patenttechniken in der Ergotherapie
Man erlebt gelegentlich die Anwendung bestimmter Patenttechniken, um selbst schwierigste Patienten noch zur Therapie zu motivieren. Die bekanntesten dieser Techniken sind Handarbeiten, und das Töpfern von Aschenbechern. Die meisten Ergotherapeuten dürften eine ältere, ängstlich-depressive Hausfrau mit Tranquilizerabusus kennen, die erst bereit war, ihre Versagenshaltung und ihr Ausweichverhalten zu überwinden, um erstmals zur Therapie zu erscheinen, als man ihr erlaubte ihr Häkelzeug mitzunehmen. Jegliches andere in den folgenden Wochen an sie herangetragene Therapieangebot, lehnte sie jedoch hartnäckig ab, da sie für allen Mitpatienten und deren Verwandten noch ein Deckchen zu häkeln versprochen hatte. In der psychologischen Gruppentherapie klagte sie derweil, daß sie nie Nein sagen könne und immer so sehr für andere da sei, daß sie leider nicht dazu komme, etwas für sich selbst zu tun.
Ähnlich bekannt dürfte der jüngere Borderline-Patient sein, der einmal zur Therapie hereinschaute, um sich einen Aschenbecher zu töpfern, dann noch dreimal fragen kam, ob der Aschenbecher schon gebrannt sei. Nachdem er seinen Aschenbecher hatte, erschien er nicht mehr. Man erfuhr nur noch, daß er auf der Station Streit mit dem Personal provoziere, indem er entgegen der Klinikordnung, auf seinem Zimmer rauche.
Bekannter noch ist die übergewichtige depressive Mutter, deren erste Arbeit in der Ergotherapie ein übergroßes kleines Körbchen für ihre Frühstücks-Brötchen war, und die sich dann über ein ausladendes Tablett bis zum Flechten überdimensionaler Brot- und Obstschalen mit 3-er-Zopfrand steigerte. Während die Diätassistentin im Team über die mangelnde Mitarbeit dieser Patientin klagte, zeigte sich die gleiche Patientin in der Ergotherapie offenbar sehr motiviert und steckte sogar noch ein nennenswertes Trinkgeld in die Kaffeekasse.
Derartige Motivationsversuche werden leicht zu Pyrrhussiegen. Das Prinzip, den Patienten da abzuholen, wo er steht, verwandelt sich unversehens in ein untherapeutisches Mit dem Patienten da stehen bleiben, wo er ohnehin bereits vor langem stehen geblieben ist. Auch wenn solche Therapieangebote in schwierigen Einzelfällen vielleicht überhaupt erst eine Brücke zum Patienten bauen helfen, so gibt es doch gute Gründe, warum man mit gewissen Patenttechniken sehr vorsichtig sein sollte: Zum einen ist es den Mitpatienten oft nur schwer klar zu machen, warum sie nicht auch in der Therapie handarbeiten, oder Aschenbecher töpfern dürfen. (Schließlich verbietet es die Schweigepflicht, offen zu erklären, daß dieser oder jener Patient eben besonders schwierig und anders noch nicht erreichbar sei.) Und zum anderen setzt man Ergotherapie durch solche Techniken dem Verdacht aus, das hier statt gezielter therapeutischer Vorgehensweise lediglich nach dem Laisser-Faire-Prinzip beschäftigt werde.
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Die weiteren Abschnitte dieses Fachartikels sind:
- Grundlegende Informationen zur Therapieplanung bei den beiden häufigsten psychiatrischen Krankheitsbildern
- Kriterien zur Beurteilung der Auswirkungen unterschiedlichster (Klein-)Techniken
- Kleine Material-, Erlebens- und Technikanalyse am Beispiel der Tiffany-Technik
- Exkurs: Schizophrenie und bildnerische Gestaltung
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