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Motivierender Erstkontakt mit neuen jungen Klienten

Kleine Leseproben aus:

Georg Keller 

Psychosoziale Therapie mit Kindern und Jugendlichen

Ergotherapeutisches Handbuch für Unterricht und Praxis  

4.1

Motivierender Erstkontakt mit einem neuen jungen Klienten

{10.1.5}, {10.3.4}, {10.5.1}, {15.1}, {15.5}, {19.2}

Nicht umsonst heißt es, ‚Der erste Eindruck ist der wichtigste Eindruck’, denn oft entscheidet sich hier bereits, ob ein junger Klient künftig gerne zur Therapie kommen wird, oder sich vielleicht sogar gänzlich verweigert. Das erste initiale Therapieziel  lautet daher immer: IZ Þ: Eine vertrauensvolle Therapiemotivation entwickeln. Dazu muss der Ergotherapeut vor allem das Interesse des jungen Klienten wecken und auf dessen Bedürfnisse eingehen.

Den ersten Eindruck von der Therapie gewinnen viele junge Klienten, wenn sie - zumeist von der Mutter - zur ersten Therapieeinheit gebracht werden. Die Familientherapeutin Freeman (2000)1 weist darauf hin, dass die Art und Weise, wie Erwachsenen dabei dem Therapeuten die Probleme ihres Kindes darlegen, für dieses oft peinlich ist und Freeman fordert den Leser daher auf: „Nimm dir eine Minute Zeit und stell dir vor, du seiest ein Kind und bist zu einer fremden Person gekommen, die - wie deine Eltern dir gesagt haben - dir bei ‚deinem Problem’ helfen wird. Nach einer kurzen Vorstellung setzt sich jeder hin, und deine Eltern sprechen darüber, wieviel Sorgen sie sich um dich machen. ‚Wir wissen einfach nicht, was ihr fehlt’, sagen sie. Sie fahren fort und beschreiben dein schlechtes Verhalten. Die Therapeutin reagiert darauf, indem sie fragt: ‚Seit wann ist das so?’ Wie fühlt man sich an Stelle dieses Kindes, wenn man jemandem auf diese Weise vorgestellt wird? Wie würdest du dir wünschen, vorgestellt, beschrieben und in einem Gespräch zwischen deinen Eltern  und einem Fremden behandelt zu werden?“ (Freeman 2000, S.67)

Das macht deutlich, wie wichtig und motivationsfördernd es ist, von Anfang an Wert darauf zu legen, mit dem jungen Klienten zu sprechen und dabei an seine Interessen und Fähigkeiten anzuknüpfen, statt über ihn zu sprechen und dabei ausschließlich ‚seine’ Probleme zu fokussieren. Oft wirken in der neuen Umgebung anerkennendes Lob für aktive Mitarbeit und schnelle Erfolgserlebnisse bei den ersten Therapieangeboten motivationsfördernd. Bereits der erste Eindruck, den der junge Klient mit nach Hause nimmt, sollte folgender sein: Der Therapeut mag mich und es ist ihm wichtig, dass ich mich wohl fühle; dann wird sich das Problem schließlich irgendwann auch lösen lassen.

Bei Kindern kann Interesse zumeist durch spielerische Aktivitäten, z.B. (Hand-)Puppen, Kneten mit etwas Ton oder Schaukeln in der Hängematte bei entspannender kindgerechter Musik... geweckt werden. Während es spielt, ergibt sich zumeist auch Gelegenheit sich mit der Mutter zu unterhalten, um auch deren Erwartungen und erste hilfreiche Hintergrundinformationen in Erfahrung zu bringen und erste Informationen zu den ergotherapeutischen Möglichkeiten zu geben (à 3.5).

Manchmal werden jetzt auch günstige weitere Therapietermine abgeklärt und es wird in diesem Zusammenhang vielleicht darauf hingewiesen, dass die Krankenkasse für ausgefallene Therapiestunden nicht zahlt. Manche Praxen lassen die Eltern auch eine Verpflichtung unterschreiben, ein Ausfallhonorar bestimmter Höhe zu zahlen, wenn sie einen Termin nicht wenigstens 24 Stunden vorher absagen.

Bei Jugendlichen muss die erste Motivierung anders ablaufen als bei einem Kind. Bei Jugendlichen kommen die Eltern eher selten mit und im Gegensatz zum kindlichen Klienten sind deren Möglichkeiten den Klienten zur regelmäßigen Therapieteilnahme zu motivieren auch geringer. Die Diplompsychologin und Familientherapeutin Gudrun Gauda (2001, S.116)2 schreibt: «Eltern werden nicht mehr nur in ihrer Vater- und Mutterrolle gesehen, sondern auch als Personen mit Stärken und Schwächen, was in den Familien häufig Konflikte mit sich bringt und [...] zu großer Verunsicherung führen kann. Als Therapeutin mache ich immer wieder die Erfahrung, daß die Jugendlichen, die mir begegnen mir mit großem Vertrauen und großer Offenheit entgegenkommen. Es fällt ihnen offensichtlich in diesem Alter leichter Hilfe außerhalb der Familie anzunehmen und verglichen mit den meisten Erwachsenen erlebe ich sie der Psychotherapie gegenüber erstaunlich offen.“ Andererseits können Pubertierende und Jugendliche einer ergotherapeutischen Behandlung aber auch skeptisch gegenüber stehen, insbesondere wenn sie sich von Lehrern oder Eltern zur Therapie gedrängt und sich dabei in ihrer Selbstbestimmtheit beeinträchtigt fühlen. Das kann sich dann gelegentlich sogar in einer offenen Ablehnung äußern, wie z.B.: Ich brauche keine Therapie, denn ich bin nicht krank.’

Ein Jugendlicher lässt sich beim Erstkontakt zumeist motivieren:

· wenn man keinen Druck ausübt, sondern seinen Selbstbestimmungsdrang unterstützt, indem man den Jugendlichen beispielsweise ausdrücklich dazu auffordert, zunächst nur zu einer begrenzten Zahl von Therapiestunden zu kommen, um den Therapeuten kennen zu lernen und sich so ein vorurteilsfreies, eigenständiges Urteil bilden zu können.

· wenn der Jugendliche erkennen kann, dass er mitbestimmen darf, was in der Therapie gemacht wird, wobei er selbst wie auch der Therapeut ein ‚Veto-Recht’ hat, d.h. niemandem kann etwas aufgezwungen werden, was dieser nicht will.

· wenn seine individuellen Interessen erfragt und in die Therapie eingebaut werden. (Z.B.: ‚Du sagtest, dass Du gerne Rock-Musik hörst. Wenn Du willst, können wir nächstes mal etwas mit Musik machen. Bist Du bereit dazu, eine Musik-CD die Du magst mitzubringen?! Dann können wir uns die anhören und gemeinsam dazu malen, z.B. eine Konzertbühne mit bunter Light-Show!3 Oder gibt es sonst etwas, was Du gerne machen möchtest?’)

Gelingt es, den Jugendlichen zu motivieren regelmäßig zur Therapie zu kommen und aktiv eigene Interessen einzubringen, dann wird er sich auch zunehmend mit der Therapie identifizieren können und zunehmend bereit sein, hilfreiche therapeutische Angebote auszuprobieren.

’Spielregeln ’ der Ergotherapie

J Partnerschaftlichkeit  

Jeder - Klient wie Therapeut - darf abwechselnd bestimmen,

was in der Therapie gemacht wird.

J Fairness

Nichts zerstören und niemanden verletzen.

 J und mehr:

Therapieschränke nur mit Erlaubnis des Therapeuten öffnen.

Am Ende der Therapiestunde aufräumen.

Keine Drogen .

...

Abb. 9: ‚Spielregeln ’ der Ergotherapie

 Es ist zumeist sinnvoll mit einem jungen Klienten, ganz gleich ob Kind oder Jugendlicher, bereits beim Erstkontakt einige grundlegende ‚Spielregeln der Ergotherapie (Abb.: 9) zu vereinbaren, wie z.B.:

· Es darf in der Therapie niemand verletzt (geschlagen, verspottet, gefährdet...) werden.

· Es darf nichts (Möbel, Werkzeug, Therapiematerial) mutwillig zerstört oder beschädigt werden.

· Jeder - d.h. der junge Klient wie auch der Therapeut - darf im Wechsel mal bestimmen, was in der Therapie gemacht wird.

· Pünktlich zum Ende jeder Therapieeinheit wird (gemeinsam) aufgeräumt.

Gelegentlich können noch weitere Regeln, dazu kommen, wie z.B.:

  · Werkstücke dürfen erst nach Fertigstellung und dann nur mit Einwilligung des Therapeuten mit nach Hause genommen werden.

Oder insbesondere bei hyperkinetischen Kindern mit Spiel-/Lernstörungen:

  · Die geschlossenen Schränke mit den Therapiematerialien/Spielzeugen dürfen nur mit Erlaubnis des Therapeuten geöffnet werden.

Oder eventuell für Praxen in sozialen Brennpunkten bei drogengefährdeten oder dissozialen Jugendlichen:

  · Es dürfen keine Drogen (Bier, Cannabis ...) oder Waffen (Klappmesser ...) mit in die Therapie mitgenommen werden.

Im konkreten Einzelfall können auch noch weitere Regeln miteinander vereinbart werden. Es kann nützlich sein, grundlegende Regeln (eventuell wie in Abbildung 9, mit freundlichen Smilies verziert), bereits im Wartezimmer auszuhängen, damit sich die jungen Klienten diese wichtigen Regeln gelegentlich schon vor Therapiebeginn ins Gedächtnis rufen (oder von ihrer Begleitperson noch einmal vorlesen lassen) können. Man kann diese Regeln auch als Fotokopie aushändigen und vom Kind bunt ausmalen lassen, vor allem dann, wenn die Regeln einen aufgedruckten Rahmen haben, der sich zum Ausmalen anbietet.

Bei Jungs lässt sich die Akzeptanz der Regeln oft erhöhen, wenn man sie darauf hinweist, dass es auch im Sport, z.B. beim Fußball, Spielregeln zum ‚fair play’ gibt. Es wird nicht jedem Kind immer von Anfang an gelingen, sich an die vereinbarten ‚Spielregeln’ zu halten. Umso wichtiger ist es, sich offiziell (z.B. mit Handschlag) gemeinsam auf diese Regeln zu einigen und sie dann konsequent einzuüben. Das sollte möglichst durch Motivation und lobende Verstärkung geschehen. Notfalls müssen auch mal Sanktionen ausgesprochen werden, wie beispielsweise 10 Minuten Therapieunterbrechung, d.h. ohne Spielzeug (Therapiematerial) ins Wartezimmer zurück.

Besonders wichtig ist die Regel · Jeder - d.h. das Kind wie auch der Therapeut - darf im Wechsel mal bestimmen, was in der Therapie gemacht wird, denn sie gibt zum einen dem Kind die Möglichkeit aktiv seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse in die Therapie einzubringen und zum anderen ermöglicht sie dem Therapeuten, lenkend im Sinne der Therapieziele einzugreifen. Darüber hinaus gibt die Regel Gelegenheit zum sozialen Lernen im Sinne einer gegenseitigen Achtung der Bedürfnisse eines jeden in echter Partnerschaftlichkeit .

Diese wichtigen drei Punkte seien hier noch einmal an einem Beispiel veranschaulicht: Nehmen wir an, ein Kind, das zuhause von seiner alleinerziehenden, depressiven, überforderten Mutter in einer beengten Stadtwohnung mit zwei weiteren Geschwistern sehr streng erzogen wird, hat recht schnell heraus, dass es in der Ergotherapie seinen unterdrückten Bewegungsdrang ausleben und sich dabei auch mal so richtig austoben darf. Allerdings ist es nicht gut, wenn es am Ende der Therapiestunde wieder so ‚aufgedreht’ ist, dass es von der gestressten Mutter, die es abholen kommt, noch einmal durch eine Ohrfeige zur Ruhe gebracht wird. Dank der ‚Jeder’-Regel hat der Therapeut nun aber die Möglichkeit z.B. einige Minuten vor Therapieende steuernd einzugreifen, indem er an die feste Vereinbarung ‚Jeder darf einmal bestimmen, was gemacht wird’ erinnert und dem Kind dann beispielsweise vorschlägt, einige Liegestütz zu machen und sich danach - wenn sich das Kind dank der Liegestütz müde und schwer fühlt - auf der weichen Therapiematte liegend, noch eine Entspannungsgeschichte anzuhören. Dadurch kann das Therapieziel ‚Den natürlichen kindlichen Bewegungsdrang ausleben und auch steuern lernen’ angestrebt werden und dabei können sowohl die Bedürfnissen des Kindes wie die geringe Belastbarkeit der Mutter berücksichtigt werden.

Man sollte von der ersten Therapieeinheit an darauf achten, dass die jungen Klienten am Ende einer Therapieeinheit den Therapieraum gemeinsam mit dem Therapeuten auch wieder aufräumen, damit das von Anfang an zum selbstverständlichen Ritual wird. Wenn die jungen Klienten nach der Therapie alles herumliegen lassen können, werden sie auch wenig geneigt sein, zu Hause nach dem Spielen aufzuräumen, wodurch dann unnötige Konflikte mit den Eltern vorprogrammiert sein können.

Kindern kann man zum Ende der ersten Therapieeinheit eventuell als Belohnung ein Token  (z.B. Smiley- oder Sonne-Bildchen) mitgeben, mit dem Hinweis: „Die bekommst Du jedes mal, wenn Du gut mitgemacht hast. Dafür darfst Du dir beim nächsten mal etwas wünschen, was Du magst, z.B. eine Mandalavorlage  oder in der Hängematte schaukeln oder eine Geschichte erzählt bekommen.“ (à 5.12) Solche Motivationsarbeit ist besonders wichtig, wenn sich die Eltern (z.B. wegen eigener psychischer Erkrankung oder mangelndem Interesse) wenig um die Einhaltung der Therapietermine durch ihr Kind kümmern, oder auch bei ängstlichen Kindern, die ohne derartigen positiven Verstärker bis zur nächsten Therapiestunde vielleicht irrationale Ängste aufbauen. 

Abb.10: Smiley-Token

Auf ängstliche kleine Kinder kann es auch beruhigend wirken, wenn sie zu den folgenden Therapiestunden (als ‚Übergangsobjekt zur allmählichen Lösung von der leiblichen Präsenz der Mutter) z.B. ihre Lieblingspuppe oder ihren Teddybär mit bringen dürfen. Das sollte man dann entsprechend mit den Eltern absprechen.

Gelegentlich ist es auch möglich im Wartezimmer ergotherapeutischer Praxen eine kleine Snoezelen-Ecke (à 5.18) einzurichten. Das kann die Motivation der Kinder zeitig zur Therapie zu erscheinen fördern und die Kinder sind dann bereits etwas vorentspannt, wenn die eigentliche Therapie beginnt.

1.) Warum ist der erste Eindruck, den ein Kind von der Ergotherapie gewinnt, oft peinlich und wie kann ein Ergotherapeut dem entgegenwirken?

2.) Warum muss die Motivierung von Jugendlichen im Rahmen des ergotherapeutischen Erstkontakts anders ablaufen als beim Kind?

3.) Wie lassen sich jugendliche Klienten beim Erstkontakt zumeist motivieren?

4.) Nennen sie einige grundlegende ‚Spielregeln der Ergotherapie!

5.) Wie kann man junge Klienten mit den ‚Spielregeln der Ergotherapie vertraut machen?

6.) Warum ist die Regel · Jeder - d.h. das Kind wie auch der Therapeut - darf im Wechsel mal bestimmen, was in der Therapie gemacht wird, besonders wichtig?

7.) Wie kann man Kinder beispielsweise motivieren, zur nächsten Therapiestunde zu erscheinen, insbesondere dann, wenn sich die Eltern (z.B. wegen eigener psychischer Erkrankung oder mangelndem Interesse) wenig um das Therapieerscheinen ihres Kindes kümmern?

8.) Woran könnte man möglicherweise erkennen, ob der erste Eindruck eines jungen Klienten von der Ergotherapie positiv oder aber negativ verlaufen ist und wie könnte man bei negativ verlaufendem Erstkontakt möglicherweise therapeutisch intervenieren?
· Spielen sie einmal in einem Rollenspiel einen Erstkontakt eines Kindes, das mit seiner Mutter zur Ergotherapie kommt, durch!

 


Literaturhinweise zu den obigen Leseproben:

1.) Freeman, J., Epston, D., Lobovits, D. (2000). Ernsten Problemen spielerisch begegnen - Narrative Therapie mit Kindern und ihren Familien. Dortmund: Verlag Modernes Lernen

2.) Gauda, Gudrun (2001). Theorie und Praxis des therapeutischen Puppenspiels - Lebendige Psychologie C.G. Jungs. Dortmund: Verlag Modernes Lernen

3.) vgl. Keller, Georg (1997). Die Nutzung bildnerischer Mittel in der Ergotherapie. Fachzeitschrift ‚Beschäftigungstherapie & Rehabilitation’. Idstein: Verlag Schulz-Kirchner; 36.Jg. Heft 3, S.252-258, insbesondere S.255 und Abb.7, S.257

 

 


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