Motivierender Erstkontakt mit neuen jungen Klienten |
Psychosoziale Therapie mit Kindern und Jugendlichen
Ergotherapeutisches Handbuch für Unterricht und Praxis
4.1 |
Motivierender
Erstkontakt
mit einem neuen jungen Klienten |
{10.1.5}, {10.3.4}, {10.5.1}, {15.1}, {15.5}, {19.2}
Nicht umsonst heißt es, ‚Der erste Eindruck ist der wichtigste Eindruck’, denn oft entscheidet sich hier bereits, ob ein junger Klient künftig gerne zur Therapie kommen wird, oder sich vielleicht sogar gänzlich verweigert. Das erste initiale Therapieziel lautet daher immer: IZ Þ: Eine vertrauensvolle Therapiemotivation entwickeln. Dazu muss der Ergotherapeut vor allem das Interesse des jungen Klienten wecken und auf dessen Bedürfnisse eingehen. |
Den ersten Eindruck von der Therapie gewinnen viele
junge Klienten, wenn sie - zumeist von der Mutter - zur ersten Therapieeinheit
gebracht werden. Die Familientherapeutin Freeman (2000)1 weist darauf
hin, dass die Art und Weise, wie Erwachsenen dabei dem Therapeuten die Probleme
ihres Kindes darlegen, für dieses oft peinlich ist und Freeman fordert den
Leser daher auf: „Nimm dir eine Minute
Zeit und stell dir vor, du seiest ein Kind und bist zu einer fremden Person
gekommen, die - wie deine Eltern dir gesagt haben - dir bei
‚deinem Problem’ helfen wird. Nach einer kurzen Vorstellung setzt sich jeder
hin, und deine Eltern sprechen darüber, wieviel
Sorgen sie sich um dich machen. ‚Wir wissen einfach nicht, was ihr fehlt’,
sagen sie. Sie fahren fort und beschreiben dein schlechtes Verhalten. Die
Therapeutin reagiert darauf, indem sie fragt: ‚Seit wann ist das so?’ Wie fühlt
man sich an Stelle dieses Kindes, wenn man jemandem auf diese Weise vorgestellt
wird? Wie würdest du dir wünschen, vorgestellt, beschrieben und in einem Gespräch
zwischen deinen Eltern
und einem Fremden behandelt
zu werden?“ (Freeman
2000, S.67)
Das macht deutlich, wie wichtig und
motivationsfördernd es ist, von Anfang an Wert darauf zu legen, mit
dem jungen Klienten zu sprechen und dabei an seine Interessen und Fähigkeiten
anzuknüpfen, statt über ihn zu sprechen und dabei ausschließlich
‚seine’ Probleme zu fokussieren. Oft wirken in der neuen Umgebung
anerkennendes Lob für aktive Mitarbeit und schnelle Erfolgserlebnisse bei den ersten
Therapieangeboten motivationsfördernd. Bereits der erste Eindruck, den der
junge Klient mit nach Hause nimmt, sollte folgender sein: Der Therapeut mag mich und es ist ihm wichtig, dass ich mich wohl fühle;
dann wird sich das Problem schließlich irgendwann auch lösen lassen.
Bei Kindern kann Interesse zumeist durch spielerische Aktivitäten, z.B. (Hand-)Puppen, Kneten mit etwas Ton oder Schaukeln in der Hängematte
bei entspannender
kindgerechter Musik... geweckt werden. Während es spielt, ergibt sich zumeist auch
Gelegenheit sich mit der Mutter zu unterhalten, um auch deren Erwartungen und
erste hilfreiche Hintergrundinformationen in Erfahrung zu bringen und erste
Informationen zu den ergotherapeutischen Möglichkeiten zu geben (à 3.5).
Manchmal werden jetzt auch günstige weitere
Therapietermine abgeklärt und es wird in diesem Zusammenhang vielleicht darauf hingewiesen, dass die Krankenkasse
für ausgefallene Therapiestunden nicht zahlt. Manche Praxen lassen die Eltern
auch eine Verpflichtung
unterschreiben, ein Ausfallhonorar bestimmter Höhe zu zahlen, wenn sie einen
Termin nicht wenigstens 24 Stunden vorher absagen.
Bei Jugendlichen muss die erste Motivierung anders
ablaufen als bei einem Kind. Bei Jugendlichen kommen die Eltern eher selten mit und im
Gegensatz zum kindlichen Klienten sind deren Möglichkeiten den Klienten zur
regelmäßigen Therapieteilnahme zu motivieren auch geringer. Die
Diplompsychologin und Familientherapeutin Gudrun Gauda (2001, S.116)2
schreibt: «Eltern
werden nicht mehr nur in
ihrer Vater- und Mutterrolle gesehen, sondern auch als Personen mit Stärken und
Schwächen, was in den Familien
häufig Konflikte mit sich
bringt und [...] zu großer Verunsicherung führen kann. Als Therapeutin mache
ich immer wieder die Erfahrung, daß die Jugendlichen, die mir begegnen mir mit
großem Vertrauen und großer Offenheit
entgegenkommen. Es fällt
ihnen offensichtlich in diesem Alter leichter Hilfe außerhalb der Familie anzunehmen und verglichen
mit den meisten Erwachsenen erlebe ich sie der Psychotherapie gegenüber
erstaunlich offen.“ Andererseits können Pubertierende und Jugendliche einer
ergotherapeutischen Behandlung aber auch skeptisch gegenüber stehen, insbesondere wenn
sie sich von Lehrern oder Eltern zur Therapie gedrängt und
sich dabei in ihrer Selbstbestimmtheit beeinträchtigt fühlen. Das kann sich
dann gelegentlich sogar in einer offenen Ablehnung äußern, wie z.B.: ‚Ich
brauche keine Therapie, denn ich bin nicht krank.’
Ein Jugendlicher lässt sich beim Erstkontakt
zumeist motivieren:
· wenn
man keinen Druck ausübt, sondern seinen Selbstbestimmungsdrang unterstützt,
indem man den Jugendlichen beispielsweise ausdrücklich dazu auffordert, zunächst
nur zu einer begrenzten Zahl von Therapiestunden zu kommen, um den Therapeuten
kennen zu lernen und sich so ein vorurteilsfreies, eigenständiges Urteil bilden zu können.
· wenn
der Jugendliche erkennen kann, dass er mitbestimmen darf, was in der Therapie
gemacht wird, wobei er selbst wie auch der Therapeut ein ‚Veto-Recht’
hat, d.h. niemandem kann etwas aufgezwungen werden, was dieser nicht will.
· wenn
seine individuellen Interessen erfragt und in die Therapie eingebaut werden.
(Z.B.: ‚Du sagtest, dass Du gerne Rock-Musik
hörst.
Wenn Du willst, können wir nächstes mal etwas mit Musik machen. Bist Du bereit
dazu, eine Musik-CD die Du magst mitzubringen?! Dann können wir uns die anhören
und gemeinsam dazu malen, z.B. eine Konzertbühne mit bunter Light-Show!3 Oder gibt es sonst etwas, was Du gerne machen möchtest?’)
Gelingt es, den Jugendlichen zu motivieren regelmäßig zur Therapie zu kommen und aktiv eigene Interessen einzubringen, dann wird er sich auch zunehmend mit der Therapie identifizieren können und zunehmend bereit sein, hilfreiche therapeutische Angebote auszuprobieren.
’Spielregeln
’
der Ergotherapie J Partnerschaftlichkeit
Jeder - Klient wie Therapeut - darf
abwechselnd bestimmen, was in der Therapie gemacht wird. J Fairness Nichts zerstören und niemanden verletzen. J und mehr: Therapieschränke nur mit Erlaubnis des
Therapeuten öffnen. Am Ende der Therapiestunde aufräumen. Keine Drogen
. ... |
Abb.
9: ‚Spielregeln
’ der Ergotherapie
Es ist zumeist sinnvoll mit einem jungen Klienten,
ganz gleich ob Kind oder Jugendlicher, bereits beim Erstkontakt
einige grundlegende ‚Spielregeln’ der Ergotherapie (Abb.: 9) zu vereinbaren, wie z.B.:
· Es
darf in der Therapie niemand verletzt (geschlagen, verspottet, gefährdet...)
werden.
· Es
darf nichts (Möbel, Werkzeug, Therapiematerial) mutwillig zerstört oder beschädigt
werden.
· Jeder
- d.h. der junge Klient wie auch der Therapeut - darf im Wechsel mal bestimmen,
was in der Therapie gemacht wird.
· Pünktlich
zum Ende jeder Therapieeinheit wird (gemeinsam) aufgeräumt.
Gelegentlich können noch weitere Regeln, dazu
kommen, wie z.B.:
· Werkstücke
dürfen erst nach Fertigstellung und dann nur mit Einwilligung des Therapeuten
mit nach Hause genommen werden.
Oder insbesondere bei hyperkinetischen Kindern mit Spiel-/Lernstörungen:
· Die
geschlossenen Schränke mit den Therapiematerialien/Spielzeugen dürfen nur mit
Erlaubnis des Therapeuten geöffnet werden.
Oder eventuell für Praxen in sozialen Brennpunkten
bei drogengefährdeten oder dissozialen Jugendlichen:
· Es
dürfen keine Drogen (Bier, Cannabis ...) oder
Waffen (Klappmesser ...) mit in die Therapie mitgenommen werden.
Im konkreten Einzelfall können auch noch weitere
Regeln miteinander vereinbart werden. Es kann nützlich sein, grundlegende
Regeln (eventuell wie in Abbildung 9, mit freundlichen Smilies verziert),
bereits im Wartezimmer auszuhängen, damit sich die jungen Klienten diese
wichtigen Regeln gelegentlich schon vor Therapiebeginn ins Gedächtnis rufen
(oder von ihrer Begleitperson noch einmal vorlesen lassen) können. Man kann
diese Regeln auch als Fotokopie aushändigen und vom Kind bunt ausmalen lassen,
vor allem dann, wenn die Regeln einen aufgedruckten Rahmen haben, der sich zum
Ausmalen anbietet.
Bei Jungs lässt sich die Akzeptanz der Regeln oft
erhöhen, wenn man sie darauf hinweist, dass es auch im Sport, z.B. beim Fußball,
Spielregeln
zum ‚fair play’ gibt. Es wird nicht jedem Kind
immer von Anfang an gelingen, sich an die vereinbarten ‚Spielregeln’
zu halten. Umso wichtiger ist es, sich offiziell (z.B. mit Handschlag) gemeinsam
auf diese Regeln zu einigen und sie dann konsequent einzuüben. Das sollte möglichst
durch Motivation
und lobende Verstärkung geschehen. Notfalls müssen auch mal
Sanktionen ausgesprochen werden, wie beispielsweise 10 Minuten
Therapieunterbrechung, d.h. ohne Spielzeug (Therapiematerial) ins Wartezimmer
zurück.
Besonders wichtig ist die Regel · Jeder - d.h. das Kind wie auch der Therapeut - darf im Wechsel mal
bestimmen, was in der Therapie gemacht wird, denn sie gibt zum einen dem Kind die Möglichkeit
aktiv seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse in die Therapie einzubringen und
zum anderen ermöglicht sie dem Therapeuten, lenkend im Sinne der Therapieziele
einzugreifen. Darüber hinaus gibt die Regel Gelegenheit zum
sozialen Lernen im Sinne einer gegenseitigen Achtung der Bedürfnisse eines
jeden in echter Partnerschaftlichkeit
.
Diese wichtigen drei Punkte seien hier noch einmal an
einem Beispiel veranschaulicht: Nehmen wir an, ein Kind, das zuhause von seiner
alleinerziehenden, depressiven, überforderten Mutter in einer beengten Stadtwohnung mit zwei weiteren
Geschwistern sehr streng erzogen wird, hat recht schnell heraus, dass es in der
Ergotherapie seinen unterdrückten Bewegungsdrang ausleben und sich dabei auch
mal so richtig austoben darf. Allerdings ist es nicht gut, wenn es am Ende der
Therapiestunde wieder so ‚aufgedreht’ ist, dass es von der
gestressten Mutter, die es abholen kommt, noch einmal durch eine Ohrfeige zur
Ruhe gebracht wird. Dank der ‚Jeder’-Regel
hat der Therapeut nun aber die Möglichkeit z.B. einige Minuten vor Therapieende
steuernd einzugreifen,
indem er an die feste Vereinbarung ‚Jeder
darf einmal bestimmen, was gemacht wird’ erinnert und dem Kind dann
beispielsweise vorschlägt, einige Liegestütz zu machen und sich danach - wenn
sich das Kind dank der Liegestütz müde und schwer fühlt - auf der weichen
Therapiematte liegend, noch eine Entspannungsgeschichte anzuhören. Dadurch kann
das Therapieziel ‚Den natürlichen
kindlichen Bewegungsdrang ausleben und auch steuern lernen’ angestrebt
werden und dabei können sowohl die Bedürfnissen des Kindes wie die geringe
Belastbarkeit der Mutter berücksichtigt werden.
Man sollte von der ersten Therapieeinheit an
darauf achten, dass die jungen Klienten am Ende einer Therapieeinheit den
Therapieraum gemeinsam mit dem Therapeuten auch wieder aufräumen, damit das von
Anfang an zum selbstverständlichen Ritual wird. Wenn die jungen Klienten nach
der Therapie alles herumliegen lassen können, werden sie auch wenig geneigt
sein, zu Hause nach dem Spielen aufzuräumen, wodurch dann unnötige Konflikte
mit den Eltern
vorprogrammiert sein können.
Kindern kann man zum Ende der ersten Therapieeinheit
eventuell als Belohnung ein Token
(z.B. Smiley- oder
Sonne-Bildchen) mitgeben, mit dem Hinweis: „Die bekommst Du jedes mal, wenn
Du gut mitgemacht hast. Dafür darfst Du dir beim nächsten mal etwas wünschen,
was Du magst, z.B. eine Mandalavorlage
oder in
der Hängematte schaukeln oder eine Geschichte erzählt bekommen.“
(à 5.12) Solche Motivationsarbeit ist besonders
wichtig, wenn sich die Eltern (z.B. wegen eigener
psychischer Erkrankung oder mangelndem Interesse) wenig um die Einhaltung der
Therapietermine durch ihr Kind kümmern, oder auch bei ängstlichen Kindern, die
ohne derartigen positiven Verstärker bis zur nächsten Therapiestunde
vielleicht irrationale Ängste
aufbauen.
Abb.10:
Smiley-Token
Auf ängstliche kleine Kinder kann es auch
beruhigend wirken, wenn sie zu den folgenden Therapiestunden (als ‚Übergangsobjekt
’ zur allmählichen Lösung von der leiblichen Präsenz
der Mutter) z.B. ihre Lieblingspuppe oder ihren Teddybär mit bringen dürfen.
Das sollte man dann entsprechend mit den Eltern absprechen.
Gelegentlich ist es auch möglich im Wartezimmer ergotherapeutischer Praxen eine kleine Snoezelen-Ecke (à 5.18) einzurichten. Das kann die Motivation der Kinder zeitig zur Therapie zu erscheinen fördern und die Kinder sind dann bereits etwas vorentspannt, wenn die eigentliche Therapie beginnt.
1.) Warum ist der erste
Eindruck, den ein Kind von der Ergotherapie gewinnt, oft peinlich und wie
kann ein Ergotherapeut dem entgegenwirken? 2.) Warum muss die
Motivierung von Jugendlichen im Rahmen des ergotherapeutischen
Erstkontakts anders ablaufen als beim Kind? 3.) Wie lassen sich jugendliche Klienten beim
Erstkontakt zumeist motivieren? 4.) Nennen sie einige grundlegende ‚Spielregeln’
der Ergotherapie! 5.) Wie kann man junge Klienten mit den ‚Spielregeln’
der Ergotherapie vertraut machen? 6.) Warum ist die Regel ·
Jeder - d.h. das Kind wie auch der Therapeut - darf im Wechsel mal
bestimmen, was in der Therapie gemacht wird,
besonders wichtig? 7.) Wie kann man Kinder beispielsweise motivieren, zur nächsten Therapiestunde zu erscheinen, insbesondere dann, wenn sich die Eltern (z.B. wegen eigener psychischer Erkrankung oder mangelndem Interesse) wenig um das Therapieerscheinen ihres Kindes kümmern? |
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8.) Woran könnte man möglicherweise erkennen, ob der erste Eindruck eines jungen Klienten von der Ergotherapie positiv oder aber negativ verlaufen ist und wie könnte man bei negativ verlaufendem Erstkontakt möglicherweise therapeutisch intervenieren? | |
· Spielen sie einmal in einem Rollenspiel einen Erstkontakt eines Kindes, das mit seiner Mutter zur Ergotherapie kommt, durch! |
1.) Freeman, J., Epston, D., Lobovits, D. (2000). Ernsten Problemen spielerisch begegnen - Narrative Therapie mit Kindern und ihren Familien. Dortmund: Verlag Modernes Lernen
2.) Gauda, Gudrun (2001). Theorie und Praxis des therapeutischen Puppenspiels - Lebendige Psychologie C.G. Jungs. Dortmund: Verlag Modernes Lernen
3.) vgl. Keller, Georg (1997). Die Nutzung bildnerischer Mittel in der Ergotherapie. Fachzeitschrift ‚Beschäftigungstherapie & Rehabilitation’. Idstein: Verlag Schulz-Kirchner; 36.Jg. Heft 3, S.252-258, insbesondere S.255 und Abb.7, S.257
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