Ergotherapie mit geistig behinderten Menschen |
Psychosoziale Therapie mit Kindern und Jugendlichen
Ergotherapeutisches Handbuch für Unterricht und Praxis
Geistige
Behinderung
|
{6.9}, {11.5}, {15.1}, {15.5}, {15.8}, {19}
Geistig behinderte Menschen zeigen häufig auch psychosoziale Verhaltensauffälligkeiten. Zudem sind sie auch im Erwachsenenalter noch an kindliche Erlebens- und Ausdrucksweisen gebunden. Da Ergotherapeuten einen wichtigen therapeutische Beitrag zur Förderung der alltagsbezogenen Handlungskompetenz geistig behinderter Menschen leisten können, hier einige grundlegende Informationen. |
Bei der geistigen Behinderung
handelt es sich um eine
angeborene, oder früh erworbene, Intelligenzminderung die zumeist auch mit
beschränkten Möglichkeiten zur sozialen Anpassung einher geht.
„Als geistig behindert
gilt,
wer infolge einer organischen Schädigung (des Gehirns) trotz optimaler
Erziehungsbemühungen in seiner Lernfähigkeit und seiner psychischen
Gesamtentwicklung so schwer beeinträchtigt ist, daß er voraussichtlich
lebenslanger Hilfe bedarf. Die Beeinträchtigungen umfassen auch immer den
sprachlichen, emotionalen und motorischen Bereich.“ (Ilse
1984, S.109)1
Da es sich bei der Behinderung um eine bleibende Störung
handelt, kann eine völlige Normalisierung nicht das therapeutische Ziel sein.
Vielmehr gilt es, den geistig behinderten Menschen zunächst einmal
so zu akzeptieren wie er ist. Gleichzeitig verfügen geistig behinderte Menschen über Entwicklungspotentiale, die es zu entfalten und auch im
Sinne sozial befriedigenderen Verhaltens zu optimieren gilt.
Während in der Mitte des
20. Jahrhunderts noch viele geistig Behinderte auf
psychiatrischen Langzeitstationen untergebracht waren, ist es insbesondere durch
den Ausbau eines dichten Netzes von Werkstätten für Behinderte,
Tagesstätten und Heimen möglich geworden die überwiegende Mehrzahl geistig
behinderter Menschen
gemeindenah zu
integrieren und zu fördern.
Auf Grund der sehr
unterschiedlichen Ausprägungsgerade geistiger Behinderung, unterschiedlicher
individueller Ressourcen,
unterschiedlicher sozialer Anforderungen und zusätzlichen Störungen von
Antriebssteigerung und Distanzlosigkeit/Rückzugstendenzen bis hin zur
Mehrfachbehinderung mit
Zusatzdiagnosen wie beispielsweise Autismus oder
Pfropfpsychose, können - je nach individuellem Befund und Zielsetzung -
ganz unterschiedliche ergotherapeutische Maßnahmen angezeigt sein. Explizite
genannt seien hier wenigstens Sensorische Integrationstherapie (à 5.17),
Motopädie (à 5.14),
Snoezelen (à 5.18),
Massagen (à 5.11),
Entspannungsverfahren (à 5.4),
therapeutische Märchen
und Geschichten (à 5.20)
und selbstverständlich lebenspraktisches ADL-Training.
Da geistig behinderte
Menschen zeit
Lebens an eine kindlichen Erlebens- und Ausdrucksweise gebunden bleiben, haben
viele von ihnen eine erstaunliche künstlerische Begabung, die auch durch
Ergotherapeuten gefördert werden kann. (à
5.10 körperzentriertes Gestalten, à
5.2 bildnerisches Gestalten)
Im Folgenden
einige grundlegende Hinweise zum therapeutischen Vorgehen bei geistig
behinderten Menschen:
· Die sprachlichen Mitteilungen des Therapeuten müssen, um vom behinderten Menschen intellektuell überhaupt verstanden werden zu können, einfach und im Wortschatz angepasst sein. Auch 1-Wort-Sätze, wie „Gut!“ (zur unmittelbaren Verstärkung) oder „Stop!“ (bei Gefahrenquellen...) können sehr hilfreich sein. Durch ausdrucksstarke Mimik und klare Gesten kann der Therapeut die Verständlichkeit seiner Botschaften und die Aufmerksamkeit des geistig Behinderten zusätzlich steigern.
· Da
geistig behinderte Menschen Gefahren oft nur schlecht
einschätzen können, muss der Therapeut in besonderer Weise Unfallquellen
minimieren und das Gefahrenbewusstsein dieser Klienten entwickeln helfen.
· Geistig
behinderte Menschen lernen vor allem durch
Imitation. Dem Handeln des Therapeuten kommt daher Vorbildcharakter zu.
· Da
das Denken geistig behinderter Menschen
anschaulich-konkret ist, müssen neu zu lernende Handlungsabläufe in kurzen
Sequenzen anschaulich demonstriert werden, wobei störende Ablenkungen möglichst
gering gehalten werden sollten. Es ist häufig sinnvoll beim Training neu zu
lernender Handlungsabläufe mit der letzten Sequenz zu beginnen und erst, sobald
diese vom Behinderten sicher beherrscht wird, die
vorletzte Sequenz dazu zu nehmen, usw. bis zur ersten Sequenz. Beherrscht er die
vorletzte Sequenz, kann er so automatisch die bereits gelernte letzte Sequenz
anschließen, was sich motivierend auswirkt. (Beginnt man statt dessen mit der
ersten Sequenz, dann besteht die Gefahr, das der Behinderte
weiter machen will, sich
dabei aber verheddert und das Interesse an der Tätigkeit verliert oder in der
Arbeitstherapie Ausschuss produziert.) - Häufige Wiederholungen helfen
Lernfortschritte zu stabilisieren.
· Die
Methode der ‘Geführten Hände’ (Affolter) kann durch ein basales,
sinnenhaftes Begreifen, Motivation und Auffassung wesentlich verbessern helfen.
· Das,
was ein geistig behinderter
Mensch bereits eigenständig
kann, sollte man ihn auch selbstständig machen lassen, statt es ‘rasch für
ihn’ zu machen.
· Geistig
behinderte Menschen mögen Rituale
(gleichbleibende und daher vertraute Abläufe). Positive Verhaltensweisen lassen
sich ggf. durch Einbau in Rituale festigen.
· Geistig
behinderte Menschen
reagieren (ähnlich wie
kleine Kinder) stärker denn auf verbale Mitteilungen auf nonverbale
Kommunikation, wie Mimik, Gestik, Sprachmelodie, emotionale Zuwendung, körperliche Nähe. Gewünschte
Verhaltensweisen lassen sich deshalb besonders durch nonverbale Botschaften, wie
freundlich nickenden Blickkontakt oder
Hand-auf-seine-Schulter-legen verstärken.
· Damit
ein geistig behinderter Mensch den Zusammenhang zwischen seinem erwünschtem
Verhalten und der folgenden Belohnung überhaupt begreifen kann, ist anfangs
eine unmittelbare Verstärkung erforderlich. Wird ein erwünschtes Verhalten
daraufhin öfter gezeigt, verstärkt es sich im Weiteren oft auch zunehmend von
alleine, z.B. weil das neue Verhalten auch vom behinderten Menschen als befriedigend
erlebt wird (intrinsische Motivation) oder weil es ihm nun auch zu anderen Mitmenschen befriedigendere
Sozialkontakte
ermöglicht (soziale Verstärkung).
· Zum
Aufbau neuer therapeutisch erwünschter Verhaltensweisen können auch materielle
Verstärker wie beispielsweise (zuckerfreie, zahnfreundliche!) Bonbons verwendet
werden, oder auch Token, wie beispielsweise
Smiley-Gutscheine (à
5.12).
· Positive
Verstärkung/Zuwendung ist wesentlich wirksamer als Bestrafung, welche die Tragfähigkeit
der therapeutischen Beziehung untergraben und gelegentlich auch schwer
kontrollierbare Trotzreaktionen provozieren kann. Zudem ist
ein strafender Therapeut kein gutes Verhaltensmodell.
· Stereotypien,
wie z.B. monotones Schaukeln des Oberkörpers findet man bei geistig behinderten
Menschen keineswegs selten.
Man sollte nicht versuchen, diese selbststimulierenden Verhaltensweisen zu
unterdrücken, sondern sie vielmehr als Hinweis darauf sehen, dass hier vestibulär
stimulierende und basale (sensorisch integrierende) ganzheitliche
Therapieangebote sinnvoll sind.
· Die
impulsive körperliche Distanzlosigkeit vieler geistig behinderter
Menschen kann zum Problem
werden. Hier ist es dann erforderlich klar und deutlich Grenzen zu signalisieren
und konsequent auf deren Einhaltung zu bestehen.
· Viele
geistig behinderte Menschen
können ihre impulsiven
Unmutsgefühle schlecht steuern; manche sind hyperaktiv. Beruhigend wirken hier
(mit großen individuellen Unterschieden!) häufig z.B.:
- ruhiges
Sprechen, Körperkontakt, sanftes Wiegen
- das
(gemeinsame) Singen eines Lieblingsliedes
- einfache
Tätigkeiten mit basal stimulierenden (Natur-)Materialien (z.B. Moose,
Baumrinden, Steine, Sand, Wasser, Ton
)
- entspannende
Hintergrundmusik mit
Naturgeräuschen
- Nichtbeachtung
(= ‚Löschen’) von harmloseren ‚Faxen’
-
Abreagieren des gesteigerten Bewegungsdranges, z.B. durch rhythmische
Hände-Klatsch-Spiele oder Sich-Auslaufen
(abreagieren) im Freien auf der Wiese.
- Snoezelen (à 5.18)
· Es
kann auch vorkommen, dass ein geistig behinderter Mensch Grenzen austestet
und sich beispielsweise demonstrativ in Szene setzt, um uneinsichtig etwas
durchzusetzen, was er sich gerade in seinen Kopf gesetzt hat. Hier ist
konsequentes Verhalten wichtig und zwar ggf. auch vom ganzen therapeutischen
Team. Geistig behinderte Menschen
können durch ungleichen Erziehungsstil
unterschiedlicher
Therapeuten genauso verzogen werden, wie Kinder deren Eltern sich teils nachgiebig-verwöhnend
und andernteils überstreng verhalten.
Abb.
66: Mandalaförmiger großer Smiley aus Handabdrücken (Fingerfarben)
Das soziale Zusammengehörigkeitsgefühl und
freundliche Miteinander von geistig behinderten
Menschen (beispielsweise in
der Arbeitsgruppe einer Werkstatt für Behinderte) lässt sich durch das gemeinsame Gestalten eines Kreises aus Handabdrücken
eines jeden Gruppenmitgliedes mit Fingerfarben fördern. (Siehe Abb. 66) Der Hände-Kreis schafft einen persönlichen
Bezug eines jeden zu der Gestaltung, die sich leicht zu einem großen Smiley
vervollständigen und für alle gut sichtbar aufhängen lässt. Der Anleiter
kann den geistig Behinderten
dazu mit einfachen, verständlichen
Worten erklären, dass der Smiley sich freut, weil alle gemeinsam zum Gelingen
mit beitragen. Sozial erwünschtes freundliches Verhalten lässt sich dann im
Weiteren auch durch Hinweis auf die Gestaltung an der Wand oder auch gezielt
durch kleine Smiley-Token
(à 5.12) weiter verstärken.
1.) Definieren sie was man unter geistig
behindert
versteht! 2.) Warum findet man heutzutage nur noch
wenige geistig behinderte Menschen
in psychiatrischen Kliniken? 3.a) Warum können bei geistig behinderten
Menschen
individuell ganz unterschiedliche ergotherapeutischen Maßnahmen angezeigt
sein? 3.b) Nennen sie einige häufig
indizierte Maßnahmen. 4.) Wie sollte die
sprachliche Kommunikation vom Therapeuten sinnvoller Weise gestaltet
werden? 5.) Können geistig behinderte Menschen Gefahren klar einschätzen? 6.) Wie kann man
komplexe Handlungsabläufe vermitteln? 7.) Wie lassen sich bei geistig behinderten
Menschen
erwünschte Verhaltensweisen verstärken? 8.) Wie kann man bei
unerwünschten Verhaltensweisen therapeutisch reagieren? 9.) Wie kann man auf geistig behinderte Menschen beruhigend einwirken? |
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10.) Wie könnte man therapeutisch
intervenieren, wenn ein geistig behinderter Mensch Grenzen austestet, indem er andere geistig behinderte
schubst? 11.) Was halten sie von
Süßigkeiten (Bonbons, Schokolade) als Mittel zur Verstärkung erwünschten
Verhaltens? 12.) Wie lässt sich ein deutlich ‚ungleicher Erziehungsstil’ unterschiedlicher Therapeuten einer Einrichtung eventuell aneinander angleichen? |
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· DVE [Hrsg.] (1997): Tätigkeitsfeld Ergotherapie in der Arbeit mit geistig Behinderten - Informationsschrift des deutschen Verbandes der Ergotherapeuten; Karlsbad · Kläger, Max (1992). KRAMPUS: Die Bilderwelt des Willibald Lassenberger - Ein behinderter Künstler in der evangelischen Stiftung de La Tour. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren |
1.) Ilse, Peter (1984). Einführung in die Pädagogik mit Sonderpädagogik - Ein Studienbuch für Berufe im Gesundheitswesen. München: Bartenschlager
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