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Georg Keller

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Die Nutzung bildnerischer Mittel in der Ergotherapie

Eine Anleitung für Praktikanten und erste berufliche Praxis

Die ungebrochene Faszination bildhaften Denkens steht im Mittelpunkt des folgenden Beitrags, einem Plädoyer für gestaltende Selbstentdeckung und Selbstentfaltung, für experimentierendes gefühls- und erlebensnahes Malen. Sein Autor, Georg Keller, unterrichtet neben einigen anderen Fächern auch das Fach 'Bildnerisches Gestalten' an einer Ergotherapieschule.
Der Beitrag enthält die wichtigsten Informationen, die der Verfasser seinen Schülern mit auf den Weg in die Praktika mit gibt: Hinweise, die auch für ausgebildete Ergotherapeuten hilfreich sein, sofern sie bisher nur wenig mit bildnerischen Mitteln gearbeitet haben und einen praxisnahen Einstieg in diesen Bereich suchen.

Wer in den ergotherapeutischen Fachzeitschriften der letzten Jahre blättert, findet darin interessante Artikel über den Einsatz bildnerischer Mittel in den Bereichen Psychosomatik, Psychiatrie, Sucht, Neurologie, Orthopädie, Pädiatrie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Geistige Behinderung (WfB), Geriatrie, Onkologie, Rheumatologie und Strafvollzug. Angesichts der vielfältigen Variationsmöglichkeiten bildnerischer Mittel ist dieses breite Einsatzspektrum und die steigende Zahl entsprechender Fachartikel keineswegs verwunderlich.(1)

Mit bildnerischen Mitteln lassen sich neue Ausdrucksmöglichkeiten eröffnen, können Kommunikations- und Kontaktverhalten gefördert, die räumliche Orientierung, das bildhafte Gedächtnis und visuelle Wahrnehmung trainiert werden, lassen sich Konzentration und Ausdauer steigern, Flexibilität und Kreativität entwickeln, Muskeltonus und Bewegungsabläufe normalisieren. Zudem kann das aktive Gestalten Körperwahrnehmung und Körperschema verbessern, psychomotorische Unruhe binden, Entspannung herbeiführen, anfängliche rasche Erfolgserlebnisse vermitteln, von krankhaften Inhalten ablenken, aber auch Problembewußtsein entwickeln, verlorene Selbstanteile entdecken, neue Lösungsansätze finden, Erlebnisreichtum und persönliche Kompetenz stärken, Kontakt- und Interaktionsmöglichkeiten bereichern.

Das bildhafte Denken

Das bildhafte Denken ist für ein Verständnis der ganzheitlich-komplexen Wirkungsweise bildnerischer Therapie von eminenter Bedeutung. Lange bevor Kinder sprechen, können sie bereits denken. Ihr Denken ist weitgehend ein Denken in gefühls- und erlebensnahen Vorstellungsbildern, die sie in Interaktion mit ihrer Umwelt kontinuierlich weiterentwickeln. Im Laufe der schulischen Sozialisation, die zu einseitig auf die Förderung des sprachgebundenen Denkens ausgerichtet ist, verliert das bildhafte Denken - trotz oder auch wegen der visuellen Reizüberflutung unserer Zeit - zunehmend an Bedeutung. Beim Erwachsenen schließlich ist es oft weitgehend verkümmert. Diese Verkümmerung zeigt sich beispielsweise sehr deutlich in der Unsicherheit der meisten Erwachsen, wenn es darum geht, eigene Wünsche, Gefühle, Ziele ... bildnerisch gestaltend auszudrücken und auf diesem Wege zu klären: Den Satz: 'Ich kann nicht malen', bekommen wir wohl alle immer wieder zu hören, und es ist eine der Hauptaufgaben gestalterisch arbeitender Ergotherapeuten, Patienten zu ermutigen, sich überhaupt auf ein bildnerisches Gestalten einzulassen.

Die Besonderheiten des bildnerischen Denkens gegenüber dem verbalen Denken möchte ich hier anhand eines einzigen Aspektes veranschaulichen, nämlich der unterschiedlichen Assoziationen.

Nehmen wir das Wort 'rot'. Häufige Laut- oder Klangassoziationen zu 'rot' sind: Not, Brot, Tod, Boot, Rothenburg, ... Wortfeldassoziationen sind beispielsweise: blau, grün,...; Farben; visuelle Wahrnehmung, ... (Soweit die sprachgebundenen Assoziationen zu 'rot').

Stellen Sie sich hingegen die Farbe Rot intensiv vor, oder schauen eine rote Fläche an und assoziieren dazu, dann erhalten Sie echte Farbassoziationen, wie: Glut, Liebe, Wärme, Herz, Blut, Aggression, Wut, Vitalität, Rose, Stop-Ampel, Gefahr, Sonnenauf- und Sonnenuntergang.

Offenbar verfügen Farbassoziationen im Gegensatz zu den sprachgebundenen Assoziationen über einen besonderen, gefühlsnahen Reichtum und zwar mit Wirkungen bis in den psychovegetativen Bereich hinein, wie insbesondere die 'Wärme'- und 'Glut'-Assoziationen zu Rot zeigen. (2)

Aufgrund eigener, spezifischer Farb- und Formassoziationen und ebenso spezifischer, traumverwandter, komplexer Verarbeitungsprozesse kommt das bildnerische Denken zu durchaus eigenständigen, gefühls- und erlebensnahen, kreativen Lösungen, wodurch das linkshemisphärische, sprachgebundene, diskursive Denken überaus bereichert werden kann. (3)

Das bildhafte Denken voll entfalten

Zur vollen Entwicklung gelangt das bildnerische Denken nur dann, wenn es sich frei entfalten kann. Will der Patient dies erreichen, muß er im Laufe der Therapie:
* Offen werden für 'ungefiltert'-spontanen bildnerischen Ausdruck, statt klischeehaft-aufgesetzt-'schöne' Bilder zu malen. Immer wieder sehen wir, daß Patienten, die beispielsweise verbal wie nonverbal bedrückt wirken, anfänglich 'lachende'-Strahlen-Sonnen in ihren Bildern malen (, statt Regenwolken am Himmel). Das kann Ausdruck einer Angst des Patienten sein, er könnte vom Therapeuten als 'krank' oder schwierig abgelehnt werden, sobald er seine Bedrückung sichtbar werden läßt. Es kann aber auch Ausdruck seiner Unfähigkeit sein, seine Gefühle so anzunehmen wie sie gerade sind. So Leben viele Patienten im 'Als ob', d.h. sie tun so, als ob sie glücklich seien und wundern sich, daß dieses 'eingebildete' Glücklichsein immer fader wird. (Siehe Abbildung 1)

Abb.1: Noch recht klischeehaftes (Strahlensonne, Blümchenreihne, Strichmännchen mit 'aufgesetztem' Lächeln) 'Heile-Welt'-Bild einer 35-jährigen depressiven Patientin. Aufgabe des Ergotherapeuten ist es hier, die Patientin erst durch geeignete bildnerische Angebote zu freieren, authentisch-ausdrucksvollen Gestaltungsmöglichkeiten hinzuführen, statt durch 'tiefschürfende' Interpretationen viel aus dem klischeehaften Bild 'herausholen' zu wollen.

Man sollte das als Therapeut ggf. einfach ansprechen, indem man z.B. sanft fragt: "Fühlen Sie sich wirklich so wie in Ihrem Bild? Ich frage das, weil ich sie heute anders erlebe. Malen Sie doch noch ein zweites, diesmal abstraktes Stimmungsbild mit Farben, die Ihrer momentanen Stimmung nahekommen!" - Man kann den Patienten auch ein Bild mit Sonne, Wolken und Regenbogen malen lassen und in diesem Zusammenhang erwähnen, daß der Regenbogen - das Zeichen der Versöhnung von Himmel und Erde - immer dann entsteht, wenn es noch regnet aber die Sonne schon wieder durch die Wolken bricht: Ähnlich wie im Leben, wenn man sich einmal ausgeweint hat und danach wieder echte Freude zu erleben fähig wird. - Die so beliebte 'teure', 'feine' Seide übt beim Seidenmalen geradezu einen Zwang auf Patienten aus, immer nur vermeintlich 'schöne' Produktionen gestalten zu müssen, statt experimentierend zu einem authentischen Ausdruck zu finden.
* Zunehmend freiere und persönlichere Bilder gestalten. Anfangs benötigen die meisten Patienten allerdings viel Struktur und Vorgaben, da sie die totale Freiheit des 'leeren' Malpapiers und eines gänzlich freien Themas ('Malen Sie irgend etwas, was Sie gerade bewegt!') noch nicht angstfrei annehmen können. Aufgabe des Therapeuten ist es dann, den Patienten von anfänglich strukturierten Aufgaben mit raschem Erfolgserlebnis (z.B. Mandala ausmalen, ggf. anfänglich auch Seidenknüpftechnik) zu zunehmend freieren Gestaltungen zu führen, damit er nicht bei unpersönlich-hübschen (Zufalls-)Produktionen steckenbleibt. (Siehe Abbildung 2)

Abb.2: Das Buntmalen von Mandalavorlagen bindet psychomotorische Unruhe. So können selbst akut-psychotische Patienten erste Farb- und Malerfahrungen sammeln.

* Die motivierende Kraft der Farbe und ihren gefühlsnahen Assoziationsreichtum nutzen. Da die Farbwirkung erst in der Fläche voll zum Tragen kommt, sollte der Therapeut insbesondere Farben anbieten, die sich leicht flächig auftragen und miteinander mischen lassen, wie z.B. Pastellkreiden, Ölkreiden, pastöse (Tempera-, Aquarell-, Acryl-)Farben.
* Die Linien und Formen als psychomotorisch erfüllte Bewegungsspuren gestalten. Das heißt: Weg von Lineal und Zeichendreieck. Weg vom Durchpausen, vom 'Malen nach Zahlen', vom Übertragen mit Gitterrastern etc. Auch weg von rein maltechnischen, fotografisch-genauen Zeichenstudien. Hin zum Frei-Hand-Malen psychomotorisch 'bewegter' und kinästhetisch erlebter Linien und Formen. - Abstrakte Stimmungsbilder ermöglichen über Farbwahl und Psychomotorik den unmittelbarsten Ausdruck 'reinen Gefühls', jenseits des Zwanges zu erkennbar-gegenständlicher Gestaltformung. Da durchschnittlichen Patienten die abstrakte Malerei völlig fremd ist, muß man sie durch Studienkopien oder frei komponierte 'abstrakte Buntfenster'-Bilder als 'Fingerübung' erst dazu hinführen.(4) (Siehe Abbildung 3)

Abb.3: Diese patchworkartige Zusammenstellung erster abstrakter "Buntfenster" (Pastellkreiden auf DIN A 4 Papier) aus dem Unterricht mit Ergotherapieschülern veranschaulicht die große Vielfalt abstrakter Ausdrucksmöglichkeiten, sowie den gelegentlichen Hang, doch wieder Gegenständliches ins Bild zu bringen.

* Zugunsten eines unmittelbaren, gefühlsnahen Ausdrucks auf komplizierte Maltechnik verzichten. Insbesondere dann, wenn ein Patient den Mut findet, eine traumatische Erinnerung zu gestalten, kommt es häufig zu einer natürlichen Regression auf undifferenziert-elementares Gefühlserleben. Jeder Versuch dieses Erlebnis beispielsweise maltechnisch aufwendig, zentrakperspektivisch-exakt darzustellen, würde den Patienten überfordern und sein gefühlvolles Durchleben und Durcharbeiten der traumatischen Erinnerung gänzlich ausbremsen. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich an eine Patientin, die während ihrer psychosomatischen Kur die Nachricht erhalten hatte, daß ein guter Bekannter von ihr gestorben war. Sie kam ganz bedrückt zur Therapie und quälte sich mit dem Gedanken, ob sie zur Beerdigung fahren solle, oder besser nicht. Beim Gestalten eines elementaren Stimmungsbildes mit amorphen, blauen, violetten, schwarzen und braunen, Farbflächen konnte sie sich ausweinen und fühlte sich danach erleichtert. Hätte sie statt dessen versucht, den Friedhof perspektivisch stimmig zu zeichnen (- um 'realistisch' zu entscheiden, ob sie dort zur Beerdigung hingehen wolle -), oder hätte sie sich gar mit einem aufgesetzt-'schönen' Blumenbild abzulenken versucht, hätte sie ihr schmerzliches Gefühl nicht ausdrücken und durcharbeiten können, sondern statt dessen ihr Gefühl 'beherrscht' und unterdrückt, um sich womöglich noch nach Monaten damit zu plagen (ggf. in Form von Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Appetitstörungen, psychovegetativer Erschöpfung...). - Für den wirklich freien spontanen Ausdruck ungeeignet sind auch Techniken, die lange Planung erfordern, wie z.B. Batiken, mit vielen Farbgängen und Arbeitsschritten.(5) (Siehe Abbildung 4)

Abb.4: Bei diesem einfachen, gefühlsnahen Stimmungsbild (Pastellkreiden) konnte sich die Patientin - die kurz zuvor erst die Nachricht vom Tod eines guten Bekannten erhalten hatte - ausweinen. Jedes maltechnisch komplizierte Bild hingegen hätte ihr Gefühl blockiert.

* Bedeutungsperspektive (freie Größenwahl) und freie Platzierung als erlebensnahe Gestaltungsmöglichkeiten fruchtbar machen. Wichtige gefühls- und erlebensnahe Gestaltungsmöglichkeiten können wir den Kindern abschauen. Diese malen weniger das, was sie sehen, als vielmehr das, was sie fühlen, erleben oder sich vorstellen. Da wird gefühlsmäßig Zusammengehörendes aufeinander bezogen im Bild platziert, auch wenn es vielleicht mit einem Fotoapparat niemals auf ein einziges Foto gebracht werden könnte. (Wie beispielsweise auch Sonne und Regenbogen, die ja in 'Wirklichkeit' immer in exakt entgegengesetzten Himmelsrichtungen angeordnet sind!) - Alles was dem Kind wichtig ist (Mama, Papa, Oma, ...), kommt ins Bild, und das Kind findet dazu immer einen Weg, ohne daß es jemals sagen würde: "Einen Menschen kann ich aber noch nicht malen: Das ist zu schwer für mich." - Mit Leichtigkeit kann ein Zwergkaninchen, mit dem das Kind stundenlang gespielt hat, in einem anschließenden Familienbild die volle Größe der übrigen Familienmitglieder erreichen, denn was dem Kind gerade wichtig ist, wird von ihm eben einfach groß gemalt. - So wird das spontane Kinderbild zum Spiegel seines seelischen Erlebens, in dem sich das Kind gestaltend selbst wiederfindet, sich seiner selbst bewußt wird.

Konkrete Ratschläge vor dem Weg in die Praktika

Die folgenden Tips können Ihnen helfen, einen reibungslosen Einstieg in die praktische Ergotherapie mit bildnerischen Mitteln zu finden. Voraussetzung ist selbstverständlich, daß Sie zuvor mit Ihrem Praktikumsanleiter vor Ort abgeklärt haben, in welchem Maße und mit welchen Patienten dort bildnerische Ergotherapie überhaupt möglich ist!

* Bauen Sie zuerst ein Vertrauensverhältnis zum Patienten auf, indem Sie den Patienten da abholen, wo er steht. Besonders bei einfach strukturierten und/oder unsicheren Patienten mit Rückzugstendenzen können leichte Kleintechniken ("Bastelleien") mit 'garantiertem Erfolgs-erlebnis', oder auch das Buntmalen von Mandalas anfänglich durchaus sinnvoll sein.(6)

* Fragen Sie den Patienten - sobald er Vertrauen gefaßt hat - freundlich und ohne Druck auszuüben! - ob er sich von Ihnen einmal eine "einfache aber interessante" Maltechnik zeigen lassen will. (7)

* Geben sie dem Patienten zunächst eine kleine, anregende aber wirklich einfache! Demonstration in einer leichten bildnerischen Einstiegstechnik (z.B. ein freies, 'abstraktes Buntfenster'). Wählen Sie dazu am besten Farben, die sich flächig vermalen lassen (z.B. Pastellkreiden, Ölpastellkreiden, pastöse (Temera, Acryl-, Aquarell-)Farben), damit die motivierende Kraft der Farben in der Fläche voll zum Tragen kommen kann.

* Ermöglichen Sie es dem Patienten unmittelbar nach Ihrer Demonstration selbst mit Malen zu beginnen, damit er gar nicht erst Zeit hat, bis zur nächsten Therapiestunde irrationale Ängste aufzubauen.

* Geben sie dem Patienten anfangs ruhig viele Hilfestellungen und inspirierende Anregungen, statt den (- bildnerisch zumeist unerfahrenen! -) Patienten hilflos vor einem leeren Blatt Papier sitzen und angstvoll ein (- erfahrungsgemäß kümmerliches -) 'freies' Bild 'ausbrüten' zu lassen, sofern er die Mitarbeit - angesichts einer ihn überfordernden Aufgabe - nicht ohnehin gänzlich verweigern sollte.

* Halten Sie sich aber in dem Maße, wie der Patient zu eigenständigen Gestaltungen bereit wird, zunehmend mit Hilfestellungen zurück, damit seine Bilder nicht durch Ihre Vorstellungen verstellt werden.

* Erwärmen Sie den Patienten auch für abstrakte! Bilder, indem sie ihn anfangs - und auch zwischendurch immer wieder mal - als "Fingerübung" freie, abstrakte "Buntfenster"-Bilder malen lassen. (8) Der Patient wird dadurch zunehmend von dem (- anfängerhaften -) Zwang zu fotografisch-gegenständlicher Darstellungsweise befreit und so allmählich offen, über die gefühlsnahe Wirkung farbiger Flächen in Kombination mit psychomotorisch erfüllten Bewegungen seine momentanen Stimmungen 'ungefiltert'-spontan auszudrücken. Seine anfänglichen, abstrakten "Buntfenster" wandeln sich dann mit zunehmender Erfahrung zu tiefempfundenen, persönlichen Stimmungsbildern! (Siehe Abbildung 5)

Abb.5: Abstrakte Komposition einer 35-jährigen Patientin mit Erschöpfungsdepression durch eine anhaltende, schwere familiäre Belastungssituation. Nach den anfänglichen, abstrakten "Fingerübungen" können mit zunehmender Malerfahrung auch tiefempfunndene Stimmungsbilder entstehne.

* Auch frei abgewandelte Studienkopien nach inspirierenden Vorlagen, die vom Patienten selbst gewählt werden, können Patienten über die Anfangsschwierigkeiten hinweghelfen. Dabei sollten Sie darauf achten, daß der Patient seine Auswahl aus einer großen Vielfalt unterschiedlichster Vorlagen treffen kann, damit er eine Chance hat, bei seiner Wahl ihn persönlich Berührendes aufzuspüren, ohne auf eine bestimmte Stilrichtung festgelegt zu sein. Gut geeignet sind die einzelnen Kalenderblätter des Harenberg-Kunst-Tageskalenders, wobei Sie zuvor alle Blätter entfernt haben sollten, die maltechnisch zu schwierig sind. Dabei sollten Sie den Patienten ermutigen, die Vorlagen nicht 'sklavisch' zu kopieren, sondern sich davon vielmehr zu eigenen Gestaltungen inspirieren zu lassen. (9)

* Anhand der Erfahrungen mit abstrakten "Buntfenster"-Bildern und inspirierenden, frei abgewandelten "Studienkopien" kommt der Patient zumeist von den anfänglich oft anzutreffenden, unbeholfen-kindischen (10) 'Bäumchen-mit-Haus'-Bildern mit der klischeehaft-lachenden Strahlen-Sonne und dem 'Ich-weiß-von-nichts'-Osterhasen auf der Blümchenwiese los, und seine mager-gegenständlichen Gestaltungen gewinnen rasch an Ausdruckskraft. (Siehe Abbildung 6)

Abb.6: Dieses48-jährige, ängstlich-depressive Patientin mit jahrelangem Beruhigungsmittelmißbrauch findet sich in ihrem Bild als kindlich-unglücklicher Kopffüßler in einer Welt mit 'Licht und Schatten' wieder. Die vorausgehende abstrakte Malerfahrung bereichert den Ausdrucksgehalt des Bildes.

* Ihr Patient sollte von Anfang an spüren können, daß nicht aufgesetzt-'schöne' Bilder angestrebt werden, sondern authentische Bilder, d.h. je nach aktueller Stimmung mal frohe, mal ernste, mal heitere, mal launische, mal schwungvolle, mal zerrissene, mal ausgeglichene Bilder... Gestaltungen also, in denen sich Ihr Patient (- in wohlwollend-akzeptierendem, therapeutischem Rahmen -) in Freude wie Leid selbst wiederfinden kann, statt sich in klischeehaften Gestaltungen selbst zu verfehlen.

* Halten Sie sich mit vermeintlich 'tieferen' Bildinterpretationen und Deutungen unbedingt zurück! (Ohne ausgiebige gestaltungstherapeutische Selbsterfahrung gepaart mit umfangreichen Kenntnissen in formaler Bildanalyse würden Sie damit mehr schaden als nützen! Zum einen 'verreitet' man sich interpretatorisch nur allzu leicht. Zum anderen kann gerade eine 'richtigliegende' Interpretation einen Patienten so sehr überfordern, daß seine Bildproduktion versiegt! - Zudem sind die ersten Bildproduktionen bildnerisch unerfahrener Patienten oft dermaßen klischeeverstellt- und 'mager', daß die Entwicklung ausdrucksvoll-authentischer Bilder unbedingten Vorrang vor jeglicher 'tiefschürfender' Interpretation haben muß!) - Beschränken Sie sich daher darauf, dem Patienten und seinen - zunehmend persönlicher werdenden - Gestaltungen echtes, menschliches Interesse entgegenzubringen. Dazu gehört durchaus auch, daß Sie dem Patienten - in einfachen Worten - Fragen zu seinem Bild stellen dürfen, z.B. was er wie dargestellt hat und wie er sich dabei gefühlt hat. Und Sie dürfen ihm auch Rückmeldungen geben, wie das Bild auf Sie selbst wirkt. Solche Rückmeldungen sollten Sie mit Rückfragen an den Patienten verbinden, ob er das auch so, oder aber anders erlebe. Das regt den Patienten an, verstärkt auf sein eigenes Erleben zu achten und er lernt gleichzeitig, daß Ihre Sichtweisen für ihn nicht zwingend sind. - Verzichten Sie unbedingt darauf, dem Patienten komplizierte, scheinbar 'fachmännische' Erklärungen geben zu wollen, was warum wie sein 'müsse'. Solche Erklärungen würden den Patienten nur verunsichern und hemmen. - Sollte Sie eine Mitteilung oder Gestaltung des Patienten befremden, dürfen Sie ihm auch das durchaus sagen. Derartige Rückmeldungen können für den Patienten sehr hilfreich sein, sofern dabei Ihr Respekt vor dem Recht des Patienten zu seinem eigenem Erleben spürbar bleibt.

* Vergessen Sie nicht: Eine Vase, die ein Patient Ihnen vielleicht spontan malt, ist eine Vase und ein Turm ist ein Turm. Wenn Sie nicht möchten, daß der Patient die Therapie abbricht, weil er das Gefühl bekommt, daß Sie ihm ein X für ein U vormachen, dann sollten Sie in seine Bilder nichts vermeindlich 'Tiefenpsychologisches' von 'unten' hineindeuteln (Gebärmutter/Phallus) und auch nichts vermeintlich 'Esoterisches' von 'oben' hineinmauscheln (Yin/Yang). Dessen ungeachtet malen weit überwiegend Patientinnen spontan Vasen.) -Unterschätzen Sie nicht die große therapeutische Wirkung einfacher Fragen, gepaart mit der kreativen, gefühlsnahen Kraft eines Bildes! (Auf die Frage, ob sie ihr 'Stilleben mit Blümchen in einer Vase' aus der Phantasie gemalt habe, oder ob sie an eine bestimmte Vase mit Blumen gedacht habe, könnte Ihnen die Patientin zum Beispiel erzählen, daß sie solche Blumen in ihrem Vorgarten ziehe... oder aber, daß sie eine solche Vase vor Jahren von ihrem Mann zum Hochzeitstag geschenkt bekam ... und in den letzten Jahren vielleicht nicht einmal mehr Blumen.

* Akzeptieren Sie es bitte, wenn ein Patient Ihnen auf eine Frage, die ihm zu persönlich erscheint, nicht antworten möchte. Lassen Sie ihm Zeit, Vertrauen zu entwickeln.

* Sollte Ihnen das, was Ihnen Ihre Patienten zu erzählen beginnen, einmal zuviel werden sollte, dann stellen Sie halt weniger (einfache) Fragen und lassen Sie Ihre Patienten wieder mehr Malen, denn das spontane Gestalten authentischer Bilder entfaltet seine therapeutische Kraft großenteils jenseits der Sprache.

Einige bildnerische Einstiegsthemen:

- Mandala ausmalen (11)
- Bildergänzung (12)
- blindes 'Kritzelbild' ausgestalten (13)
- einfaches Naß-in-Naß-Aquarell (14)
- abstraktes Bild (z.B. als 'Buntfenster'-Bild, als 'Fingerübung', als 'Lightshow' oder als 'Stimmungsbild' (15))
- frei abgewandelte 'Studienkopien' nach den vorsortierten Harenberg-Tageskalender-Blättern
- Regenbogenbild (als Metapher für seelische Wachstumsprozesse; s.o.) (16)
- Wenn Sie ein Baum wären, was für ein Baum wären Sie, in welcher Landschaft, ... ('Ich als Baum' als Metapher für die Klärung des eigenen Selbstbildes) (Siehe Abbildung 7)

Abb.7: Dieser 21-jährige Patient, mit einer schizophrenen Episode in der Vorgeschichte, gestaltet das Malthema 'Lightshow' zu einer schwärmerischen, traumnahen Seelenlandschaft aus: In der Mitte plaziert er das Superman-Signet (Superman war das Idol seiner Kindheit). Darunter gestaltet er seine Sehnsüchte nach einer Philippinin.

Nachwort

Bei der beschrieben Vorgehensweise, werden sicherlich viele Ihrer Patienten Fortschritte machen und fähig werden, mit immer weniger äußerer Hilfestellung zunehmend persönlichere Themen jenseits von Klischees authentisch zu gestalten. Und schließlich wird mancher Patient auch das 'leere Blatt' angstfrei als faszinierenden Freiraum zu gestaltender Selbstentdeckung und Selbstentfaltung annehmen und nutzen können.

Trotz guter therapeutischer Vorgehensweise und Malthemen, die mit Bedacht gewählt wurden, wird dennoch nicht jeder Patient bereit oder fähig sei, sich auf ein gefühls- und erlebensnahes bildnerisches Gestalten in therapeutischem Rahmen einzulassen. Auch mit bildnerischen Mitteln lassen sich keine Wunder bewirken. Ein hochakuter Maniker beispielsweise wird sich an die Begrenzungen des Malblattes ebenso wenig halten können, wie an den strukturierten Flechtvorgang eines Peddigrohrkörbchens. Da wird man als Ergotherapeut auch weiterhin dankbar sein müssen, daß es Ärzte und Medikamente gibt!

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg!

Literaturempfehlungen:
- Daucher, Hans (Hrsg.): Kinder denken in Bildern; Piper-Verlag, München 1990
- Jaffé, Aniela (Hrsg.): C.G.Jung in Wort und Bild; Walter-Verlag, Olten 1977
- Kläger, Max: Phänomen Kinderzeichnung - Manifestationen bildnerischen Denkens; Pädagogischer Verlag Burgbücherei Schneider, Baltmannsweiler 1990
- Riedel, Ingrid: Bilder - in Therapie, Kunst und Religion; Kreuz-Verlag, Stuttgart, 1988
- Riedel, Ingrid: Farben - in Religion, Gesellschaft, Kunst und Psychotherapie; Kreuz-Verlag, Stuttgart 1983
- Schottenloher, Gertraud: Kunst- und Gestaltungstherapie; Kösel-Verlag, München 1995
Fußnoten:
(1) Anhand dieser Fachartikel in den Zeitschriften Ergotherapie &Rehabilitation (Schulz-Kirchner-Verlag, Idstein) und Praxis Ergotherapie (Verlag Modernes Lernen, Dortmund) kann man sich auch sehr gut gezielt über bildnerische Möglichkeiten in speziellen ergotherapeutischen Bereichen informieren!
(2) Die Intensität dieser Assoziationen ließ sich experimental-psychologisch bestätigen: Versuchspersonen fröstelten bei Zimmertemperatur in einem Wartezimmer, das blaßblau angestrichen war. Die gleiche Temperatur empfanden sie aber nachdem angenehm warm, als das Wartezimmer intensiv rotorange angestrichen worden war!
(3) Um mit Goethe zu sprechen: 'Grau, mein Freund, ist alle Theorie, doch grün des Lebens güldener Baum.' Mit anderen Worten: Das sprachgebundene Denken ist nüchtern und trocken, also 'grau'. Das bildnerische Denken hingegen ist gefühlvoll-lebendig, aber unreif, also 'grün'. Erst wenn wir das bildnerische Denken entwickeln und das sprachgebundene Denken mit dem bildnerischen Denken in fruchtbarer Harmonie vereinen, können wir erkennen, daß das Leben in Wahrheit überaus reich, also 'gülden' (golden) ist. - Die Entwicklung des bildnerischen Denkens fördert Erlebensreichtum und persönliche Kompetenz und verbessert so die Lebensqualität.
(4) Siehe dazu die diesbezüglichen Ausführungen in meinem Artikel: 'Einen persönlichen bildnerischen Ausdruck entwickeln- Malen als Therapie' in der Zeitschrift Praxis Ergotherapie, Heft 3 / 1996 S. 189ff (Verlag modernes Lernen, Dortmund)
(5) Dessen ungeachtet können solche Techniken z.B. unter arbeitstherapeutischen Gesichtspunkten auch später noch durchaus sinnvoll sein, nur eben nicht unter dem Aspekt einer fortgeschrittenen Förderung des bildnerischen Denkens.
(6) Da, wo Patienten aber bei solchen Kleintechniken stehenbleiben, wird die Therapie zum 'Wolkenkuckucks-heim', statt Kompetenzen zu vermitteln. Bekanntlich fallen Menschen, die in 'Wolkenkuckusheimen' leben von Zeit zu Zeit 'aus allen Wolken'!
(7) Wer noch nicht will, sollte nicht gezwungen werden! - Warten Sie bis er bereit dazu ist oder ggf. 'mal wieder aus allen Wolken gefallen ist': Vielleicht ist er danach aufgeschlossener!
(8) Siehe dazu auch meinen Artikel: 'Einen persönlichen bildnerischen Ausdruck entwickeln- Malen als Therapie' in der Zeitschrift Praxis Ergotherapie, Heft 3 / 1996 S. 189ff (Verlag modernes Lernen, Dortmund)
(9) Siehe unter Fußnote 8!
(10) Solche Bilder sehen zwar wie Kinderbilder aus, dennoch kann man nicht von 'kindlich' sprechen, da Kinder keine Heile-Welt-Klischees malen. Lachende Strahlen-Sonnen sieht man bei Kindern nur, wenn sie tatsächlich guter Laune sind. Wenn ein 'erwachsener' Patient in bedrückter Stimmung solche Klischees produziert, dann ist das nicht mehr 'kindlich' sondern Ausdruck einer schwerwiegenden seelischen Störung , auch wenn man das dem Patienten sicherlich nicht so sagen sollte.
(11) Als Vorlagen gut geeignet sind die Blätter des Mandala-Malblocks, Edition Neptun. Dieser Malblock enthält 72 der sehr beruhigenden - und daher oft auch bei akuten Psychotikern einsetzbaren - Mandala-Vorlagen aus dem Buch "Mandalas der Welt" von Rüdiger Dahlke; Heinrich Hugendubel-Verlag, München
(12) Dazu wird ein Bild (- aus oben genannten Gründen vorzugsweise die Reproduktion eines abstrakten Kunstwerkes -) auf ein größeres Blatt Papier aufgeklebt und dann das gesamte Blatt in ähnlichem Stil ausgemalt.
(13) Ähnlich wie die Bildergänzung, nur daß hier als 'Anfang' mit geschlossenen Augen ein paar Kritzel auf's Papier gemalt werden. Anschließend wird das ganze Blatt - bei geöffneten Augen - ausgestaltet.
(14) Einfach Farbtropen und Linien auf einem naßen Aquarellpapier verschwimmen und ineinanderfließen lassen und die dabei entstehenden Farbübergänge beobachten.
(15) Bei jungen Leuten kann man als motivierendes Einstiegsthema auch eine 'Lightshow' anbieten: Stell dir die Bühne bei einem Rockkonzert, die von Rauchmaschienen in Nebel gehüllt ist, der von bunten Scheinwerfern und Lasern angestrahlt wird.
(16) Besonders bei einfach strukturierten, konkret denkenden Patienten, die keinen Zugang zu abstrakten Bildern finden.

Der Artikel wurde erstmals veröffentlicht in der Zeitschrift 'Beschäftigungstherapie & Rehabilitation'; 37Jg., Heft 5/98, S.357ff.; Verlag Schulz- Kirchner, Idstein (Zeitschrift des dt. Verbandes der Ergotherapeuten e.V.).

Hier wiedergegeben, mit freundlicher Genehmigung des Verlags:

Schulz Kirchner Verlag GmbH
Postfach 9
D - 65505 Idstein
Internet: http://www.schulz-kirchner.de

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