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Analyse: Soziale, therapeutische und schulisch-didaktische Aspekte

Kleine Leseproben aus:

Georg Keller 

Psychosoziale Therapie mit Kindern und Jugendlichen

Ergotherapeutisches Handbuch für Unterricht und Praxis  

 

2.4

Zusammenfassung

 

· Unter Experten besteht weitgehend Einigkeit über die Relevanz früher Therapie zur Förderung der kindlichen Entwicklung und zur Prävention schwieriger Verläufe im Erwachsenenalter. Besonders die sogenannten ‚stillen Kinder’ mit sozial weniger störenden Verhaltensauffälligkeiten bleiben häufig ohne Hilfe, zumal dann wenn sie aus sozial unterprivilegiertem Milieu kommen. Schulpsychologen sind oft überlastet und nicht wenige verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche können mittels kognitiv-verbaler Therapieangebote nicht angemessen gefördert werden. Es besteht eine Versorgungslücke bezüglich der Behandlung psychosozial auffälliger Kinder und Jugendlicher.

· In der Bundesrepublik Deutschland gibt es ein dichtes Netz ergotherapeutischer Praxen. Dort werden derzeit überwiegend Kinder (neuro-)pädiatrisch-ergotherapeutisch behandelt. Da die Übergänge von (neuro-)pädiatrischen zu kinder- und jugendpsychiatrischen Störungen fließend sind, werden bereits jetzt psychosozial auffällige Kinder ganzheitlich ergotherapeutisch behandelt. Zudem arbeiten einzelne Praxen bereits intensiv mit Kinder- und Jugendpsychiatern zusammen. Bei entsprechend qualifizierender Ausbildung könnten Ergotherapeuten insbesondere in Praxen vermehrt kinder- und jugendpsychiatrische Klientel behandeln und derart einen sinnvollen Beitrag zur gemeindenahen Gesundheitsversorgung und auch zur Prävention leisten. Leider gibt es derzeit kaum spezifisch ergotherapeutische Veröffentlichungen zur Ergotherapie bei psychosozial auffälligen Kindern und Jugendlichen.

· Leider führt auch die am 1. Juli 2000 in Kraft getretene ErgThAPrV (Ergotherapeuten-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung) das Fach ‚Ergotherapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie’ der alten BeArbThAPrO (Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten Ausbildungs- und Prüfungsordnung) nicht mehr explizit als eigenes Fach auf, sondern impliziert es lediglich im Rahmen anderer Fächer. Dennoch bietet die ErgThAPrV Möglichkeiten zur Vermittlung entsprechender Unterrichtsinhalte im Rahmen der Ausbildung, die es zu nutzen gilt. Dazu sollten geeignete Unterrichtsmaterialien ausgearbeitet und veröffentlicht werden.

 

* * *

3.5

Schlussfolgerungen für den Aufbau von Unterrichtsmaterialien

Da die Unterrichtsbedingungen sehr heterogen sind, sollten die Unterrichtsmaterialien so gestaltet sein, dass sie von ergotherapeutischen Lehrkräften in unterschiedlichen Fächern und an unterschiedlichen Schulen mit ihren unterschiedlichen schulinternen Lehrplänen sehr flexibel eingesetzt werden können. Komplett ausgearbeitete Unterrichtsablaufpläne kommen daher nicht in Betracht. Nach Ansicht des Verfassers scheint ein Aufbau aus einzelnen aufeinanderfolgenden Lektionen mit ergänzenden Fragen und vertiefenden Übungen besonders sinnvoll zu sein. Lehrkräfte, die die Materialien verwenden möchten, können dann selbst entscheiden, welche Lektionen sie in ihren Unterrichtsfächern sinnvoller Weise den Schülern anbieten und welche Fragen und Übungen sie dazu in welcher Sozialform bearbeiten lassen.

Die Materialien sollten zudem so selbsterklärend aufgebaut sein, dass sie von Ergotherapielehrern auch ohne externe Schulung oder komplizierte Einarbeitung unmittelbar im Unterricht eingesetzt werden können. Zudem sollten sie auf das Lernniveau der Schüler abgestimmt sein.

Da ‚Ergotherapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie’ in der ErgThAPrV nicht mehr explizite aufgeführt wird, sollten die Bezüge der einzelnen Lektionen zu den in der Anlage 1 der ErgThAPrV genannten Fächern kenntlich gemacht werden, um eine Verankerung in den Unterricht zu erleichtern. Zudem sollte ein Sachregister das gezielte Auffinden einzelner Informationen ermöglichen.

Im Wesentlichen sollten sich die Materialien auf den spezifisch ergotherapeutischen kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich konzentrieren und ansonsten auf die ergänzenden Informationen aus anderen Fächern (siehe unter 2.3) verweisen. Soweit bestimmte medizinische oder sozialwissenschaftliche Vorkenntnisse zum Verständnis unmittelbar notwendig sind, kann es sinnvoll werden, diese kurz darzustellen, da aufgrund der Heterogenität der Curricula und Unterrichtspläne nicht immer davor ausgegangen werden kann, dass diese Grundkenntnisse im vorausgehenden Unterricht bereits vermittelt wurden.

Jeder Lektion sollte ein kurzer Advance Organizer vorangestellt werden, um den Schülern den Einstieg und die Einordnung der Inhalte der Lektion zu erleichtern. Das ist umso wichtiger, da davon auszugehen ist, dass die Unterrichtsmaterialien nicht immer in kompletter Folge im Unterricht behandelt werden können, d.h. dass teilweise vielleicht auch nur einzelne Lektionen aus dem Gesamtverband der Unterrichtsmaterialien herausgelöst in unterschiedliche Unterrichtsfächer integriert werden.

Gelegentliche Psychiater- und ‚Irren’-Witze oder auch Anekdoten können helfen, den Lernstoff abwechslungsreich zu gestalten. Bei der Auswahl der Witze ist allerdings darauf zu achten, dass die Witze nicht abwertende Klischees verstärken, sondern vielmehr einen humorvoll-‚entkrampften’ Zugang zur Psychiatrieproblematik eröffnen oder Denk- und Diskussionsimpulse setzen.

Um den Schülern ein aktives soziales Lernen zu ermöglichen, sollten die in den einzelnen Lektionen dargestellten Informationen durch Fragen und vertiefende Übungen ergänzt werden. Dabei ist es sinnvoll die Fragen - soweit möglich - nach Schwierigkeitsgrad anzuordnen, denn: „Eine Analyse der Lernaufgaben gibt Anhaltspunkte dafür, welche kognitiven Lernleistungen erwartet werden und welche Lernvoraussetzungen erfüllt sein müssen, um diese erbringen zu können.“ (Becker 1997, S.29)1. Dies erleichtert dem Lehrer dann auch eine Binnendifferenzierung, indem er einfache Fragen der bloßen Erinnerung des gerade gelesenen Textes leistungsschwächeren Schülern stellen kann, komplexe Fragen hingegen besonders kompetenten Schülern zuweisen kann. Zur Einstufung der Fragen nach Schwierigkeit bieten sich insbesondere die Bloomsche Taxonomie  und die ‚Struktur des Intellekts’ nach Guilford an. Da die Lernvoraussetzungen der Ergotherapieschüler allerdings - wie unter 3.3 dargestellt - sehr unterschiedlich sein können, ist eine exakte Taxierung nicht möglich. Die Frage beispielsweise ‚Haben Sie eine Vorstellung, welchen Aufwand Psychiater betreiben, um zu einer Diagnose zu gelangen und wie sicher sind diese Diagnosen?’ kann für Schüler, die ähnliches bereits im medizinischen Unterricht gelernt haben, eine einfache Kenntnisfrage (nach der Bloomschen Taxonomie) bzw. ein einfaches Erinnern (nach Guilford) sein, während die gleiche Frage bei Schülern, die entsprechende Unterrichtsinhalte noch nicht lernen konnten, komplexe Denkvorgänge und interaktives Problemlöseverhalten erforderlich machen. Eine ungefähre Einschätzung des Schwierigkeitsgrads der Fragen kann aber versucht werden.

Die Materialien sollen nicht nur Informationen geben, sondern insbesondere auch zu gestalterischer Selbsterfahrung, Rollenspielen, Erfahrungsaustausch, Diskussion, zu Medieneinsatz und Alltagsbeobachtungen anregen, um ein aktives soziales Lernen und die spätere aktive Umsetzung in die Praxis zu fördern.

Durch solche Vielfalt sollen die Materialien dem Lehrer im Unterricht den Einsatz unterschiedlicher Methoden und Sozialformen wie Lehrervortrag, Unterrichtsgespräch, Einzelarbeit, Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Referate und Medieneinsatz erleichtern.

Zu wesentlichen Themen sollten daher - soweit möglich - Hinweise auf unterschiedliche Medien wie weiterführende Fachliteratur, Video, MC, CD oder Internet  gegeben werden, um einer Methoden- und Medienmonotonie entgegen zu wirken und um besonders Motivierten eine aktive, fakultative Vertiefung oder auch die Übernahme von Referaten oder Kleingruppenarbeiten zu erleichtern.

Nachdem sich die Schüler anhand der Lektionen der ersten Kapitel grundlegende Kenntnisse aneignen konnten und therapeutische Methoden und Vorgehensweise kennen lernen konnten, sollen sie schließlich Gelegenheit bekommen, Therapiestunden anhand von Fallgeschichten selbst zu planen, um dabei das zuvor Gelernte aktiv und praxisnah umsetzen zu können.

Aus dem gesagten ergibt sich dann etwa folgender formale Aufbau jeder einzelnen Lektion:

# KAPITEL
#.# Lektion
{#} Bezug zu den in Anlage 1 der ErgThAPrV genannten Fächern
Advance Organizer
Eigentlicher Informationsteil
Witz, Anekdote oder ähnliches
Fragen zur Texterinnerung
Komplexere Fragen
Vertiefende Aufgaben
Beobachtungsaufgaben
Weiterführende Literaturempfehlungen
VIDEO Interessantes Video
MC Interessante Musik-Kassette
CD Interessante CD

 


Literaturhinweise zu den obigen Leseproben:

1.) Becker, Georg E. (1997). Planung von Unterricht. Weinheim: Beltz Verlag

 

 


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