Analyse: Soziale, therapeutische und schulisch-didaktische Aspekte |
Psychosoziale Therapie mit Kindern und Jugendlichen
Ergotherapeutisches Handbuch für Unterricht und Praxis
Zusammenfassung |
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· Unter
Experten besteht weitgehend Einigkeit über die Relevanz früher Therapie zur Förderung
der kindlichen Entwicklung und zur Prävention schwieriger Verläufe im
Erwachsenenalter. Besonders die sogenannten ‚stillen Kinder’ mit
sozial weniger störenden Verhaltensauffälligkeiten bleiben häufig ohne Hilfe,
zumal dann wenn sie aus sozial unterprivilegiertem Milieu kommen.
Schulpsychologen sind oft überlastet und nicht wenige verhaltensauffällige
Kinder und Jugendliche können mittels kognitiv-verbaler Therapieangebote nicht
angemessen gefördert werden. Es besteht eine Versorgungslücke
bezüglich der Behandlung
psychosozial auffälliger Kinder und Jugendlicher.
· In
der Bundesrepublik Deutschland gibt es ein dichtes Netz ergotherapeutischer
Praxen. Dort werden derzeit überwiegend Kinder (neuro-)pädiatrisch-ergotherapeutisch behandelt. Da die Übergänge von (neuro-)pädiatrischen zu kinder- und
jugendpsychiatrischen Störungen fließend sind, werden bereits jetzt
psychosozial auffällige Kinder ganzheitlich ergotherapeutisch behandelt. Zudem
arbeiten einzelne Praxen bereits intensiv mit Kinder- und Jugendpsychiatern
zusammen. Bei entsprechend qualifizierender Ausbildung könnten
Ergotherapeuten insbesondere in Praxen vermehrt kinder- und jugendpsychiatrische
Klientel behandeln und derart einen sinnvollen Beitrag zur gemeindenahen
Gesundheitsversorgung und
auch zur Prävention leisten. Leider gibt es
derzeit kaum spezifisch ergotherapeutische Veröffentlichungen zur Ergotherapie
bei psychosozial auffälligen Kindern und Jugendlichen.
· Leider
führt auch die am 1. Juli 2000 in Kraft getretene ErgThAPrV (Ergotherapeuten-Ausbildungs-
und Prüfungsverordnung) das Fach ‚Ergotherapie in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie’ der alten BeArbThAPrO (Beschäftigungs- und
Arbeitstherapeuten Ausbildungs- und Prüfungsordnung) nicht mehr explizit als eigenes
Fach auf, sondern impliziert es lediglich im Rahmen anderer Fächer. Dennoch
bietet die ErgThAPrV Möglichkeiten zur Vermittlung entsprechender
Unterrichtsinhalte im Rahmen der Ausbildung, die es zu nutzen gilt. Dazu sollten
geeignete Unterrichtsmaterialien ausgearbeitet und veröffentlicht werden.
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Schlussfolgerungen
für den Aufbau von Unterrichtsmaterialien |
Da die Unterrichtsbedingungen sehr heterogen sind,
sollten die Unterrichtsmaterialien so gestaltet sein, dass sie von
ergotherapeutischen Lehrkräften in unterschiedlichen Fächern und an
unterschiedlichen Schulen mit ihren unterschiedlichen schulinternen Lehrplänen
sehr flexibel eingesetzt werden können. Komplett ausgearbeitete
Unterrichtsablaufpläne kommen daher nicht in Betracht. Nach Ansicht des
Verfassers scheint ein Aufbau aus einzelnen aufeinanderfolgenden Lektionen mit
ergänzenden Fragen und vertiefenden Übungen besonders sinnvoll zu sein. Lehrkräfte,
die die Materialien verwenden möchten, können dann selbst entscheiden, welche
Lektionen sie in ihren Unterrichtsfächern sinnvoller Weise den Schülern
anbieten und welche Fragen und Übungen sie dazu in welcher Sozialform
bearbeiten lassen.
Die Materialien sollten zudem so selbsterklärend
aufgebaut sein, dass sie von Ergotherapielehrern auch ohne externe Schulung oder
komplizierte Einarbeitung unmittelbar im Unterricht eingesetzt werden können.
Zudem sollten sie auf das Lernniveau der Schüler abgestimmt sein.
Da ‚Ergotherapie in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie’ in der ErgThAPrV
nicht mehr explizite aufgeführt
wird, sollten die Bezüge der einzelnen Lektionen zu den in der Anlage 1
der ErgThAPrV genannten Fächern kenntlich gemacht werden, um eine Verankerung
in den Unterricht zu erleichtern. Zudem sollte ein Sachregister das gezielte
Auffinden einzelner Informationen ermöglichen.
Im Wesentlichen sollten sich die Materialien
auf den spezifisch ergotherapeutischen kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich
konzentrieren und ansonsten auf die ergänzenden Informationen aus anderen Fächern
(siehe unter 2.3) verweisen. Soweit bestimmte medizinische oder
sozialwissenschaftliche Vorkenntnisse zum Verständnis unmittelbar notwendig
sind, kann es sinnvoll werden, diese kurz darzustellen, da aufgrund der
Heterogenität der Curricula
und Unterrichtspläne nicht
immer davor ausgegangen werden kann, dass diese Grundkenntnisse im
vorausgehenden Unterricht bereits vermittelt wurden.
Jeder
Lektion sollte ein kurzer Advance Organizer vorangestellt werden, um den Schülern
den Einstieg und die Einordnung der Inhalte der Lektion zu erleichtern. Das ist
umso wichtiger, da davon auszugehen ist, dass die Unterrichtsmaterialien nicht
immer in kompletter Folge im Unterricht behandelt werden können, d.h. dass
teilweise vielleicht auch nur einzelne Lektionen aus dem Gesamtverband der
Unterrichtsmaterialien herausgelöst in unterschiedliche Unterrichtsfächer
integriert werden.
Gelegentliche
Psychiater- und ‚Irren’-Witze oder auch Anekdoten können helfen, den
Lernstoff abwechslungsreich zu gestalten. Bei der Auswahl der Witze ist
allerdings darauf zu achten, dass die Witze nicht abwertende Klischees verstärken, sondern
vielmehr einen humorvoll-‚entkrampften’
Zugang zur Psychiatrieproblematik eröffnen oder Denk- und Diskussionsimpulse
setzen.
Um
den Schülern ein aktives soziales Lernen zu ermöglichen, sollten die in den
einzelnen Lektionen dargestellten Informationen durch Fragen und vertiefende Übungen
ergänzt werden. Dabei ist es sinnvoll die Fragen - soweit möglich - nach
Schwierigkeitsgrad anzuordnen, denn: „Eine
Analyse der Lernaufgaben gibt Anhaltspunkte dafür, welche kognitiven
Lernleistungen erwartet werden und welche Lernvoraussetzungen erfüllt sein müssen,
um diese erbringen zu können.“ (Becker 1997, S.29)1. Dies
erleichtert dem Lehrer dann auch eine Binnendifferenzierung, indem er einfache
Fragen der bloßen Erinnerung des gerade gelesenen Textes leistungsschwächeren
Schülern stellen kann, komplexe Fragen hingegen besonders kompetenten Schülern
zuweisen kann. Zur Einstufung der Fragen nach Schwierigkeit bieten sich
insbesondere die Bloomsche Taxonomie
und die ‚Struktur des
Intellekts’ nach Guilford an. Da die
Lernvoraussetzungen der Ergotherapieschüler allerdings - wie unter 3.3
dargestellt - sehr unterschiedlich sein können, ist eine exakte Taxierung nicht
möglich. Die Frage beispielsweise ‚Haben Sie eine Vorstellung, welchen
Aufwand Psychiater betreiben, um zu einer Diagnose zu gelangen und wie sicher
sind diese Diagnosen?’ kann für Schüler, die ähnliches bereits im
medizinischen Unterricht gelernt haben, eine einfache Kenntnisfrage (nach der
Bloomschen Taxonomie) bzw. ein einfaches Erinnern (nach Guilford) sein, während
die gleiche Frage bei Schülern, die entsprechende Unterrichtsinhalte noch nicht
lernen konnten, komplexe Denkvorgänge und interaktives Problemlöseverhalten
erforderlich machen. Eine ungefähre Einschätzung des Schwierigkeitsgrads der
Fragen kann aber versucht werden.
Die Materialien sollen nicht nur Informationen geben,
sondern insbesondere auch zu gestalterischer Selbsterfahrung, Rollenspielen, Erfahrungsaustausch,
Diskussion, zu Medieneinsatz und
Alltagsbeobachtungen anregen, um ein aktives soziales Lernen und die spätere
aktive Umsetzung in die Praxis zu fördern.
Durch solche Vielfalt sollen die Materialien dem
Lehrer im Unterricht den Einsatz unterschiedlicher Methoden und Sozialformen wie
Lehrervortrag, Unterrichtsgespräch, Einzelarbeit, Partnerarbeit, Gruppenarbeit, Referate und Medieneinsatz erleichtern.
Zu wesentlichen Themen sollten daher - soweit möglich
- Hinweise auf unterschiedliche Medien wie weiterführende Fachliteratur, Video,
MC, CD oder Internet
gegeben werden, um einer
Methoden- und Medienmonotonie entgegen zu wirken und um besonders Motivierten
eine aktive, fakultative Vertiefung oder auch die Übernahme von Referaten oder
Kleingruppenarbeiten zu erleichtern.
Nachdem sich die Schüler anhand der Lektionen der
ersten Kapitel grundlegende Kenntnisse aneignen konnten und therapeutische
Methoden und Vorgehensweise kennen lernen konnten, sollen sie schließlich
Gelegenheit bekommen, Therapiestunden anhand von Fallgeschichten selbst zu planen, um dabei
das zuvor Gelernte aktiv und praxisnah umsetzen zu können.
Aus dem gesagten ergibt sich dann etwa folgender formale Aufbau jeder einzelnen Lektion:
# | KAPITEL |
#.# | Lektion |
{#} | Bezug zu den in Anlage 1 der ErgThAPrV genannten Fächern |
Advance Organizer | |
Eigentlicher Informationsteil | |
Witz, Anekdote oder ähnliches | |
Fragen zur Texterinnerung | |
Komplexere Fragen | |
Vertiefende Aufgaben | |
Beobachtungsaufgaben | |
Weiterführende Literaturempfehlungen | |
VIDEO | Interessantes Video |
MC | Interessante Musik-Kassette |
CD | Interessante CD |
1.) Becker, Georg E. (1997). Planung von Unterricht. Weinheim: Beltz Verlag
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